„Riechen ist reine Trainingssache“ – Parfümeur Geza Schön im Gespräch

17.09.2013

Wie erfindet man ein ultimativ betörendes Parfüm, schafft es, den Geruch eines Stadtteils in ein Flakon zu bannen oder der Essenz eines wohlriechenden Buches auf die Spur zu kommen? Damit beschäftigt sich Geza Schön.

Herr Schön, wir alle wissen, dass man mit Düften betören kann. Aber was man sich von Ihrem Parfüm „Molecule 01“ erzählt, klingt abenteuerlich.

Es ist tatsächlich so, dass ich noch von niemandem gehört habe, der den Duft trägt und nicht auf der Straße daraufhin angesprochen wurde. Typischerweise rennen einem die Menschen hinterher und wollen wissen, was das für ein interessanter Duft ist. Oder man wird in einer überfüllten Bar von Gästen bemerkt, die am anderen Ende des Raumes sitzen. Ich finde, das hat was.

Wie ist das möglich?

Molecule 01 besteht aus einem einzigen Riechstoff, dem synthetischen Molekül ISO E Super aus der Gruppe der Zedernholzriechstoffe. Die Substanz wird in vielen Parfüms schon seit langem als eine Art Geruchsverstärker eingesetzt, hat aber auch einen weichen, sehr angenehmen und subtilen Eigengeruch. Es gibt die Theorie, dass ISO E Super nicht nur einfach von unseren Geruchsrezeptoren aufgenommen wird, sondern zusätzlich auf unser Geruchsorgan, das vomeronasale Organ, einwirkt, über das wir Sexuallockstoffe, also sogenannte Pheromone, wahrnehmen.

Wenn der Stoff schon so lange bekannt ist, warum hatten Sie als Erster die Idee, ihn auf diese Weise einzusetzen?

Das hat sicher auch mit der Art und Weise zu tun, wie der Massenmarkt in meinem Beruf funktioniert. Die Gewinnmarge bei Parfüms ist relativ groß. Das heißt, die Firmen haben entsprechend hohe Budgets, um das Produkt aufwendig zu bewerben. Was den Duft selbst angeht, besteht relativ wenig Interesse an Qualität und Neuerungen. Kaum jemand will das Risiko eingehen und sich die Zeit nehmen, die es bräuchte, um einen Duft einzuführen, den man in dieser Form noch nicht gerochen hat. Aber genau diesen Weg muss man gehen, wenn man in meinem Beruf wirklich kreativ sein will.

Zum Beispiel, indem Sie ein Parfüm für eine Gedächtnisweltmeisterin entwickeln?

Ja, wobei der Duft, den ich mit Christiane Stenger entwickelt habe, durchaus auch als konzeptionelles Statement zu verstehen ist. Ich hatte die Idee, als man Paris Hiltons Düfte lancierte. Und da Paris Hilton so ziemlich das schlechteste „Role Model“ ist, das ich mir vorstellen kann, dachte ich mir spontan: Das müsste man umdrehen. So bin ich auf die Gedächtnissportlerin Christiane Stenger aufmerksam geworden. Christiane hat es in etwas zur Meisterschaft gebracht, das grundsätzlich jeder lernen kann. Ganz im Gegensatz zu einem Celebrity-Girl wie Hilton, die für ihren Ruhm nichts weiter tun muss, als eben Paris Hilton zu sein.

Riechsessions und Akkorde

Sie haben das Parfüm „Beautiful Mind“ genannt. Wie riecht ein „schöner Geist“?

Mir ging es erst einmal darum, Christiane selbst die Möglichkeit zu geben, ein „Liking“ zu entwickeln, also selbst herauszufinden, welche Düfte zu ihr passen. Zu Beginn des Projekts haben wir uns drei Wochen jeden Morgen für Riechsessions getroffen. Das Ergebnis war eine Geruchs-Grundidee, ein sogenannter „Akkord“, den wir dann über ein Jahr lang weiter verfeinert haben.

Ein Akkord ist also ein erster Grundbaustein für einen Duft?

Genau. Es sind einige wenige Stoffe, die eine Basis bilden, die man dann aber in der Regel weiter verfeinert. Die meisten Parfüms bestehen aus zirka 20 bis 60 Komponenten. Wobei die Anzahl der Inhaltsstoffe nicht zwangsläufig eine höhere Qualität bedeutet. Manchmal reicht ein einziger Stoff, wie man an Molecule 01sieht. Auch das berühmte Cool Water von Davidoff ist nur ein relativ „kurzer“ Duft, mit etwa 30 Bestandteilen. Und Erfolg hatte das Parfüm vor allem deshalb, weil man einen einzigen Riechstoff, das Ambroxan, besonders hoch dosierte.

Neben ihrer Arbeit als klassischer Parfümeur sind Sie auch an einer Vielzahl von Kunstprojekten beteiligt, oft in Kooperation mit der norwegischen Duftkünstlerin Sissel Tolaas.

Mit Sissel Tolaas arbeite ich schon fast seit 15 Jahren zusammen. Für die Berlin-Biennale 2004 sind wir durch die Stadtteile Neukölln, Schöneberg, Mitte und Reinickendorf gelaufen, haben Gerüche aufgespürt und uns Notizen gemacht. Damit sind wir dann ins Labor, um den Duft dort so gut wie möglich umzusetzen – für eine Art „Geruchs-Karte“ der Stadt. 2012 habe ich in Zusammenarbeit mit dem Göttinger Verleger Gerhard Steidl Paper Passion entwickelt, einen Duft für Buchliebhaber. Der war zwar ursprünglich als Parfüm gedacht, ist aber viel eher Geruch als Duft geworden: trocken, fettig und sehr intensiv – eben wie ein frischgeleimtes Buch.

Hartnäckigkeit und Übung

Sie sagen, Papier würde „trocken“ und zugleich „fettig“ riechen. Das klingt paradox, ist aber dennoch plausibel. Trotzdem hätten die meisten Menschen große Probleme, den Geruch eines Buches spontan zu benennen. Woran liegt das?

Das ist, übrigens genauso wie das Riechen, eine reine Trainingssache. Genauso wie es keinerlei Talent oder genetischer Disposition bedarf, viele unterschiedliche Gerüche voneinander unterscheiden zu können, sondern lediglich Hartnäckigkeit und Übung. Und das Benennen-Können von Düften ist eben ein Teil dieser Sensibilisierung, die eintritt, wenn man sich lange im Riechen übt.

Haben Sie auch einen Namen für den Geruch, den zum Beispiel ein frisch ausgepacktes Apple-Gerät verströmt?

Das ist interessant, ich denke darüber tatsächlich schon seit längerem nach. Es ist ja ein regelrechter „Corporate Smell“, der einem da in die Nase weht. Ich würde ihn „Plastikfrische“ nennen. Vermutlich ergibt sich das schlicht durch die verwendeten Materialien. Möglich wäre aber auch, dass man hier nachgeholfen hat. Viele Firmen setzen sich inzwischen ja professionell mit dem Thema Duftmarketing auseinander.

Ist das nicht auch eine unangenehme Vorstellung, auf diese Weise durch Gerüche manipuliert zu werden?

Sicher, ja. Andererseits sind dieser Manipulation nach wie vor Grenzen gesetzt. Nehmen Sie den Geruch eines Lindenbaumes an einem Julimorgen – mit seinem unvergleichlich gurkigen, frischen Aroma. Man könnte ja denken, dass es bald möglich wäre, das mit Computerhilfe nachzubauen. Das aber ist selbst für die schnellsten Rechner im Augenblick noch zu komplex. Die Natur hat tausende von Jahren dafür gebraucht. Wir können einfach nicht damit rechnen, dass wir dies in naher Zukunft wirklich eins zu eins nachbauen können. Und das ist auch gut so.

Copyright: Goethe-Institut e. V., Internet-Redaktion
September 2013

Erschienen auf www.goethe.de im September 2013.