Friss dich selbst!

4.07.2006

Wie Netzkünstler das Info-Imperium Google angreifen

Es mag an der wahnwitzigen Geschwindigkeit liegen, mit der Google gerade im Wochentakt neue Services erfindet, die auf immer abenteuerliche Weise in unser Leben grätschen: der enorme Einfluss, den die Suchmaschine schon jetzt auf ihre User ausübt, scheint vielen langsam unheimlich zu werden. Google sei dabei, sich zur „Weltmacht“ zu entwickeln, befindet der Stern. Das Magazin Neon macht sich ernsthafte Sorgen um die moralische Standfestigkeit der Mega-Firma und fragt: „Wie böse ist Google?“. Und das Fachmagazin ct warnt in einer Serie von Artikeln vor dem Privatsphären-untergrabenden „Info-Kraken“.

Auch wenn das Unbehagen gegenüber dem Informationsmonopolisten erst jetzt langsam ins Bewusstsein des durchschnittlichen Anwenders sickert, die net.art-Kunstszene beschäftigt sich seit Jahren mit Google. Net.art-Künstler verstehen sich als ästhetische Aktivisten in der Tradition der 60er Jahre. Wie damals ist die Störung des kapitalistischen „Systems“ das Ziel, nur dass dieses heute auch ganz buchstäblich in den Codes dominanter Software seinen Ausdruck findet.

Zusammen mit einem italienischen Künstler-Kollegen hat sich der österreichische Aktionist Hans Bernhard in seinem neuesten Projekt vorgenommen, Googles Info-Imperium durcheinanderzubringen. Ganz im Sinne der alten Guerilla-Kampflogik, wonach ein übermächtiger Gegner von kleinen beweglichen Angreifern unterwandert und sich wie eine von Viren infizierte Körperzelle sich selbst von innen heraus zerstört, soll der Suchmaschinen-Riese gleichsam an seiner eigenen Größe ersticken. „Google Will Eat Itself“ (www.gwei.org), so der bezeichnende Titel der Arbeit, will Google am Herzstück seines kommerziellen Erfolgs attackieren, der Online-Werbung. Über 90 Prozent seiner Einnahmen verbucht der Suchmaschinen-Betreiber mit der Schaltung von Text-Anzeigen, auf der Hauptseite oder als Schriftbanner auf Partnerseiten, die den Raum dafür anbieten, weil auch sie an der Sache verdienen. Mit jedem Klick eines interessierten Surfers zahlt der Inserent eine Gebühr an Google, von der ein Teil wiederum als Belohnung an den Seitenbetreiber geht.

„GWEI“ macht sich dieses Belohnungssystem zunutze, indem es Google eine Vielzahl von Werbebannern auf versteckt angelegten Webseiten zur Verfügung stellt. Surft jemand auf eine dieser Seiten, löst ein Mechanismus Klicks auf allen anderen aus, die dann von Google entlohnt werden. Dieses Geld wird wiederum in Google-Aktien investiert. Gerade einmal 202 Millionen Jahre wird es dauern, bis Google komplett im Besitz der GTTP (Google To The People Public Company) ist.

Soll man schmunzeln ob der verrückten Anarcho-Geste des Projekts, soll man sich als enttäuschter Anti-Googler über die augenzwinkernde Absurdität der Arbeit aufregen oder empört Partei für die um ihr Geld geprellten, armen Werbekunden übernehmen? So genau darf man das natürlich nicht wissen. Denn der Sinn des Angriffs soll doch wohl sein: Verwirrung zu stiften, symbolische Dissonanz zu erzeugen, den Sinn zu schärfen für die virtuellen Mechanismen, die Google zu einem gigantisch aufgeblähten Global Player gemacht haben.

Viel mehr könne man eh nicht tun, sagt Bernhard in einem Interview. Seit 10 Jahren ist er Medienaktionist. Als Gründungsmitglied der Net-Art-Künstlergruppe „etoy“ war er an dem in der Szene berühmten „Toywar“ beteiligt, bei dem es gelang, durch gezielte medienwirksame Aktionen die Aktie des Spielzeugherstellers Etoys zu drücken, nachdem dieser versuchte, die Webseite www.etoy.com für sich zu vereinnahmen. Und im Jahr 2000 betreute er die vielbeachtete Aktion „Voteauction“. Unter dem Slogan „Bringing Capitalism And Democracy Closer Together“ wurde damals amerikanischen Staatsbürgern auf einer gefakten Webseite die Möglichkeit geboten, ihre Stimme für die Präsidentenwahl zu verkaufen. Das Medienecho war so überwältigend, dass sich sogar das CIA einschaltete.

Google wird sich also höchstwahrscheinlich nicht selbst veräußern, auch nicht in den nächsten 200 Millionen Jahren. Aber darum geht es gar nicht. „GWEI ist ein Konzeptkunst-piece und ein privates Research-Projekt zur globalen Klick-Ökonomie“, sagt Bernhard. Was wohl heißt, dass das Projekt trotz aller aktionistischen Geste doch „nur“ Kunst ist. Dabei allerdings nicht die schlechteste.

Erschienen in Süddeutsche Zeitung am 04. Juli 2006.