Projekt Zukunft

7.10.2012

Die hauptstädtische Modeszene boomt. Nun sollen Wege gefunden werden, damit die Start-ups wirtschaftlich bestehen

Dem kleinen Berliner Modelabel Issever Bahri könnte eine große Zukunft bevorstehen. 2010, direkt nach der Gründung ihrer Firma, gewannen die Designerinnen Derya Issever und Cimen Bachri den begehrten „Young Designers Award“ der PREMIUM-Modemesse in Berlin. Es folgte der zweite Platz beim „Start your fashion Business“ Wettbewerb auf der Mercedes Benz Fashion Week im letzten Jahr. „Das war ein wundervoller Start für uns“, erzählt Derya Issever. „Wir hatten sehr schnell ein tolles Feedback, besonders von der internationalen Presse.“

Issever Bahri ist kein Einzelfall. Seit sich vor neun Jahren im Rahmen der Streetwear Messe Bread & Butter erstmals junge Berliner Fashion-Startups formierten, hat sich die Hauptstadt zu einer Plattform für aufstrebende Design-Talente entwickelt, die international ihresgleichen sucht. Aktuell drei große Fashion-Events, die Bread & Butter, die Mercedes Benz Fashion Week und die Premium, bieten mit ihren Nachwuchs-Awards, Talent-Slots und nicht zu vergessen der Aura aus Glamour und Internationalität einen idealen Nährboden für eine erfolgreiche Berliner Modeszene.

Leider ist es trotz idealer Startbedingungen für viele junge Modefirmen nach wie vor sehr schwer, ihr Talent am Standort Berlin auch in ökonomischen Erfolg zu verwandeln. „Im Augenblick können wir von unserem Label noch nicht leben“, sagt Derya Issever. Der lokale Markt, so die Jungdesignerin, sei einfach noch nicht bereit, entsprechend zu investieren. „Das wird wahrscheinlich noch einige Jahre dauern.“

Der in Fashion-Belangen bislang noch wenig experimentierfreudige deutsche Einzelhandel ist dabei nur ein Problem, mit dem Berliner Mode-Startups zu kämpfen haben. Die Entwicklung hochwertiger Kollektionen ist sehr teuer, in der Regel müssen schon Berufsanfänger mit Kosten um die 25.000 Euro für eine einzige Show kalkulieren. „Ich kenne niemanden unter den jungen Labels, die solche Beträge schon allein stemmen können“, so Issever. Entweder man hat das Glück, Preisgelder verwenden zu können. Oder man hofft auf einen Bankkredit.

Doch genau von diesen gibt es derzeit immer weniger. „Kaum eine Bank ist derzeit bereit, ein junges Modelabel zu unterstützen“, konstatiert Tanja Mühlhans von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung. Die Referentin arbeitet für die Landesinitiative Projekt Zukunft, die die Modebranche schon seit Jahren mit diversen Förderprogrammen unterstützt und ist mitverantwortlich für das Aufblühen der Berliner Szene. Gleichzeitig sorgt sie sich um die Zukunft der Talente. „Es geht jetzt darum, nach Möglichkeiten zu suchen, Modelabels die nächsten Wachstumsschritte am Standort Berlin zu sichern.“

Große Hoffnung setzt Mühlhans in das zunehmende Interesse großer Modefirmen, kleinere Berliner Labels für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. So kooperiert der Schuhhändler Görtz schon seit Jahren erfolgreich mit Designern aus Berlin. Und auch der Online-Händler Zalando arbeitet mittlerweile gerne mit Designern zusammen. Eine Win-Win-Situation, wie Johanna Kühl von Kaviar Gauche beschreibt: „Der Auftraggeber bekommt den gewünschten kreativen Input und wir als Designer werden in den Bereichen Produktion und Vertrieb entlastet.“

Geht es nämlich an die Produktion der eigenen Entwürfe und schließlich um die Frage, wie man die fertigen Produkte an den Einzelhandel vermittelt, sind viele Berufsanfänger zunächst heillos überfordert. „Meiner Meinung nach haben Mode-Startups einen der anspruchsvollsten Jobs in der Kreativbranche überhaupt. Denn sie müssen alles gleichzeitig können – von Kollektionsentwicklung, Produktion, Vermarktung bis Buchhaltung“, sagt Tanja Mühlhans. Dabei sei gerade die Wahl des richtigen Vertriebs oft maßgeblich für den Erfolg eines Labels. „Wir werden künftig verstärkt an Modellen arbeiten, wie wir Berufsanfänger in diesem Bereich coachen können.“

Obwohl die Designer selbst den ökonomischen Druck sehr wohl spüren, der auf ihnen und der Branche lastet, sind die allermeisten dennoch überzeugt vom Standort Berlin. „Berlin ist Freiheit, Berlin ist frisch und Berlin ist ein Magnet“ umschreibt Kilian Kerner, mittlerweile etablierter Jung-Designer mit Sitz in Berlin, das oft zitierte kulturelle Potenzial der deutschen Hauptstadt. „Wir fühlen uns nirgendwo so frei wie in Berlin. Besonders im Vergleich zu Städten wie London, wo der ökonomische Druck ein freies Herumexperimentieren quasi im Keim erstickt. Wir haben hier ja quasi aus dem Wohnzimmer heraus angefangen“, beschreibt Derya Issever die Situation.

Sicher, dabei mögen günstige Mieten und verfügbarer Freiraum eine Rolle spielen. Und schon jetzt wird darüber diskutiert, was denn mit den coolen Labels passiert, wenn sie sich erst einmal etablieren, wenn der Markt in Berlin wächst. Erstickt das Ökonomische das Kreative dann nicht – wie der Tourismus die Subkultur eines gentrifizierten Stadtteils? Die Kunst- und Modehistorikerin Adelheid Rasche ist anderer Meinung. „Ich glaube, hier geht es im Kern um einen ausgeprägten Pluralismus. Und den hatte Berlin immer, allein schon als Effekt all der großen Umbrüche, die die Stadt in der Vergangenheit durchlebt hat. Daran werden auch Phänomene wie Tourismus und Gentrifizierung nichts grundsätzlich ändern.“

Trotz aller Schwierigkeiten: Die Berliner Modeszene wird weiter wachsen, sich weiter professionalisieren. Ob dabei wirklich jene vielbeschworene Frische zugunsten eines etablierten Marktes verloren geht, bleibt abzuwarten. Im günstigsten Falle entwickelt sich eine kreative Koexistenz. „Ich persönlich finde es toll, die Mischung aus wirtschaftlich sinnvoller Mode und Avantgardismus anzusehen“, sagt jedenfalls Kilian Kerner. Im Januar 2013 startet mit der „Panorama“ die nächste große Modemesse in Berlin – für das „exklusive Fashionsegment“.

Erschienen in Die Welt am 07. Oktober 2012.