Lieber Kunst als Brandfassaden

2.09.2005

Eine Berliner Ausstellung befreit Graffiti von ihrem schlechten Image

Die moderne Großstadt ist bedroht von einer Plage. Am schlimmsten hat es die deutsche Hauptstadt erwischt. Im Bezirk Kreuzberg und Friedrichshain müssen Kinder zwischen von Sprühdosen verschmierten Hauswänden spielen, Hausbesitzern werden die mühsam modernisierten Fassaden mit hässlichen Stickern vollgeklebt und historische Denkmäler sind von Farbklecksen bedeckt.

Dagegen muss man mit aller Macht vorgehen. Sagen Graffiti-Gegner wie der Berliner Verein Nofitti, eine Bürgerinitiative zur Rettung des Berliner Stadtbildes. „No tolerante“ gegen Sprüher-Vandalismus, fordert Nofitti-Vorsitzender Karl Hennig.

In der nagelneuen Einkaufsmeile Friedrichstraße reiht sich ein hässlicher Glaspalast an den nächsten und halbdefekte Videogroßleinwände wie am Kudamm senden stumpfsinnige Werbeclips in den öffentlichen Raum. Dagegen muss man sich mit aller Macht wehren. Sagen Street-Art-Künstler wie der Franzose Zevs oder die New Yorkerin Swoon, und kämpfen für urbane Freiräume, in denen sie Urban Art präsentieren können. Zum Beispiel in den für seine Graffiti-Dichte berühmten Berliner Bezirken Kreuzberg und Friedrichshain.

Vandalismusgeplagte Bürger gegen kreative Straßenkünstler, so verlaufen die Fronten im Streit um das urbane Phänomen Graffiti schon seit Jahren. Und verhärten sich weiter. Erst vor zwei Monaten feierte die Nofitti- Fraktion einen spektakulären Erfolg, als der Bundestag eine härtere Verfolgung der Sprayer beschlossen hatte. Otto Schily kündigte an, Sprayer künftig bundesweit mit Hubschraubereinsatz zu jagen.

Gleichzeitig beginnt sich Street Art langsam aber sicher von seinem Schmierimage zu lösen und in die Galerien zu drängen. Die Berliner Ausstellung „Backjumps“, aktuell in der alternativen Kreuzberger Galerie Kunstraum Bethanien zu sehen, wurde mit 35 000 Euro sogar vom Haupstadtkulturfonds unterstützt. Ergänzend zu den Arbeiten 50 international bekannter Straßenkünstler hat der umtriebige Kurator Adrian Nabi, selbst jahrelang Mitglied der Berliner Sprüher-Szene, ein beachtliches Rahmenprogramm organisiert: Workshops mit den Künstlern, ein Brakedance-Contest und Führungen zu den interessantesten Straßenkunstwerken der Stadt.

Tags und Pieces

Eine skandalöse politische Fehlentscheidung, blaffte Nofitti zusammen mit der Berliner CDU und FDP in Richtung des Ausschusses für den Hauptstadtkulturfonds und dessen Vorsitzenden, den Berliner Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei.PDS). Kaum haben Bundestag und Bundesrat die immensen Schäden durch Graffiti verurteilt, schon fördere die Bundesregierung ein Branchentreffen der illegalen Sprayer. „Die Welt“ bilanzierte, dass allein in Berlin durch Graffiti pro Jahr Schäden in Höhe von 50 Millionen Euro verursacht werden. Angesichts dessen mag diese Reaktion verständlich sein.

Nur, wer durch die Backjumps-Ausstellung wandert oder mit dem häufig anwesenden Nabi über die Arbeiten spricht, merkt schnell: Mit Schmierereien hat Straßenkunst schon seit langem nichts mehr am Hut. „95 Prozent aller Writings sind indiskutabel“, fasst Nabi einen Eckpfeiler seines kuratorischen Konzeptes zusammen. Für „Hard Core-Illegale, die über alles drüber gehen“ und auch vor fremden Kunstwerken nicht Halt machen, hat er kein Verständnis. „Die erwarten Respekt für das eigene Werk und zerstören dabei Fremdes.“

Die Stars der Szene haben sich ohnehin längst von der aggressiven Platzierung oft stumpfsinnig wiederholter Schriftzüge (Tags) verabschiedet, und sich auf die Produktion komplexer Bilder (Pieces) spezialisiert, die immer öfter in Form von sensibel in den Stadtraum eingefügten Papier- oder Holzarbeiten auftauchen. Zugegeben, im Chaos verschmierter Straßenzüge sind diese Perlen nicht leicht zu finden. Es sei denn, man nimmt den Street Art Guide zur Hand, einen Führer für Straßenkunst, den Nabi und seine Mitarbeiter für die Ausstellung konzipiert haben und der die schönsten Spots der Stadt markiert.

Auf einem der Pfade gelangt man an mehreren großen Brandfassaden vorbei, jenen fensterlosen Außenwänden, die durch Bau- oder Bombenlücken entstanden sind. Seit einigen Wochen leuchten riesige Bilder auf den Wänden, allesamt Auftragsarbeiten, die Adrian Nabi mit der Genehmigung der Stadt anfertigen ließ. Direkt unter einigen Fassaden spielen Kinder. Außer den farbenprächtigen Pieces ist hier alles grau und zugesprüht.

Erschienen in Süddeutsche Zeitung am 02. September 2005.