Sprachinsel Namdeutsch

20.06.2018

Das Deutsch, das Menschen in Namibia sprechen, interessiert die Sprachwissenschaft. Weshalb gerade Namdeutsch so spannend ist, erklärt der Linguist Horst Simon.

Herr Professor Simon, was macht den wissenschaftlichen Reiz des Namdeutschen aus?

Unter allen sogenannten deutschen Sprachinseln, die wir weltweit kennen, finden wir in Namibia die stabilste und vitals­ te Gruppe von Menschen im Ausland, die Deutsch als Muttersprache sprechen. Aktuell sind das 20.000 Per­ sonen, vor allem Nachfahren der Siedler aus Kolonial­ zeiten, aber auch Deutsche, die nach wie vor dorthin auswandern. Durch den von der Verfassung gestütz­ ten hohen Stellenwert der deutschen Sprache in Nami­ bia haben die Deutschsprachigen dort Zugang zur deutschen Standardsprache – im Gegensatz zu den meisten Deutschstämmigen in Übersee, deren Deutsch oft auf den Dialekten ihrer Vorfahren basiert.

Sie beobachten, wie dieses Deutsch sich verändert – im Sinne einer neuen namibischen Varietät?

Genau. Ei­nerseits ist es verblüffend, wie relativ nah das offizielle namibische Deutsch an unserer Standardsprache ist. Wenn Sie Texte einer deutschsprachigen namibischen Zeitung lesen, erkennen Sie kaum Auffälligkeiten. An­ dererseits gibt es viele Besonderheiten, sobald sich zwei Namibier mit Deutsch als Muttersprache unter­ halten. Aber wie genau sind diese Sprachvarianten entstanden? Das wollen wir untersuchen.

Die einfachste Antwort wäre, dass Strukturen aus an- deren Sprachen übernommen werden. Ähnliches beobachtet man bei Kiezdeutsch, der Jugendsprache, die sich in Wohngebieten mit hohem Migrantenanteil entwickelt hat.

Das spielt natürlich eine Rolle. Wer in Na­mibia Deutsch als Muttersprache spricht, beherrscht mindestens noch Englisch, die offizielle, und Afri­kaans, die am weitesten verbreitete Umgangssprache. Wir glauben aber, dass man am sogenannten Nam­ deutschen noch einen anderen Mechanismus nach­weisen kann: Unsere These ist, dass es sich bei vie­ len Varianten im Namdeutschen um Entwicklungen handelt, die ohnehin schon im Deutschen angelegt sind und gar nicht durch Übernahmen von Strukturen aus einer Kontaktsprache erklärt werden müssen. Sprachwandel tritt dann ein, wenn bestimmte sozio­kulturelle Bedingungen erfüllt sind, zum Beispiel Mehrsprachigkeit. Denn diese führt zu einer weniger normorientierten Sprachpraxis.

Und dies wollen Sie anhand des Namdeutschen nachweisen?

Richtig. Dazu sammeln wir vier Typen von Daten: freie Gespräche, formelles und informelles Sprechen und Schreiben, Einschätzungen über die Unterschiede zur deutschen Standardsprache und die Verwendung von spezifischen namibischen Sprachvarianten.

Dafür brauchen Sie sicher Unterstützung in Namibia?

Natürlich, ohne internationale Zusammenarbeit wäre das Projekt nicht möglich. Eine namibische Mitarbeiterin koordiniert die Aufnahmen und unterstützt uns auch in der späteren Auswertung des Materials. Außerdem kooperieren wir mit der Germanistik­Ab­ teilung der University of Namibia, die im Rahmen ei­ nes DAAD-­Förderprojekts in engem Austausch mit der Universität Duisburg­-Essen steht.

Gibt es denn schon erste Ergebnisse?

Wir befinden uns noch in der Phase der Transkription, für Ergebnisse ist es deshalb noch zu früh. Besonders spannend wird si­ cher die Auswertung des Wechsels zwischen formel­lem und informellem Sprechen. Da ist Namdeutsch einzigartig, weil das Standarddeutsche einen so hohen Stellenwert hat und weil es immer noch die Sprache der gebildeten Oberschicht ist. Das ist auch das Beson­ dere im Vergleich zu Kiezdeutsch, bei dem ähnliche Voraussetzungen für Sprachwandel gegeben sind, die Milieuzuordnung aber eine ganz andere ist.

Erschienen im Juni 2018 in LETTER 02/18, dem Alumnimagazin des DAAD.