Gustav Metzger, längst vergessener Pionier der „autodestruktiven Kunst“, wird in Wien wiederentdeckt
Eigentlich dürfte es diese Ausstellung gar nicht geben. Nicht länger als zwanzig Jahre sollten seine Werke zu sehen sein, schrieb Gustav Metzger 1960 in seinem „Manifest für autodestruktive Kunst“. Chemische und physikalische Prozesse sollten sie zur Auflösung führen. Dass das Kuratorenteam der Wiener Generali Foundation trotzdem genug Material zusammentragen konnten für die erste große Retrospektive des wenig bekannten, aber einflussreichen politischen Künstlers, liegt weniger an seiner Inkonsequenz als vielmehr an der Komplexität des Metzger`schen Oeuvres.
„Ich bin überhaupt kein Zerstörer, das haben die Leute immer missverstanden“, klärt der inzwischen fast 80-jährige Künstler in einer aktuellen Dokumentation auf, die man in einer Info-Ecke einsehen kann. Direkt daneben liegen Artikel aus, in denen der Künstler die Möglichkeiten maschineller Destruktion anpreist. Das ist kein Widerspruch. Denn für Metzger war Zerstörung immer nur Mittel zum Zweck. „Es ging mir immer darum, die Gesellschaft durch Kunst zu heilen.“
Offensives Kaputtmachen ist dabei nur eine Möglichkeit. Wie zum Beispiel bei den Acid Nylon Paintings, zwei Aktionen aus den frühen sechziger Jahren. Am Südufer der Themse hatte Metzger eine Kunststoffleinwand aufgespannt, die er im Gestus eines Malers mit Säure bestrich. Die ätzende Brühe löste das Material in Fetzen auf, nach und nach gab die Leinwand die Sicht auf das Stadtpanorama frei.
Doch selbst dieser spektakulär inszenierte Akt anarchistischer Zerstörungswut war keine Aufforderung zum rebellischen Gewaltakt, wie viele Metzger-Nachahmer es sahen. Pete Townshend etwa, der berüchtigte Gitarrenzerhauer von The Who, war bekennender Metzger-Fan, aber wenn er sein Instrument auf der Bühne zersplitterte, dann war das wenig mehr als eine Rock n Roll Pose. Metzger hingegen versuchte, die Destruktion als Mittel zum Zweck zu sehen. Das Londoner „Acid Nylon Painting“ sollte den Blick schärfen für das, was hinter ihm zum Vorschein kam: die triste urbane Wirklichkeit der sechziger Jahre, geprägt von einer zunehmenden Dominanz technologischer Entwicklung bei einer gleichzeitigen kollektiven Angst vor der Gefahr, die von ihr ausging.
„The Who“ kopierten ihn
Diese öffentlichen Akte der Vernichtung begreift Metzger als erzieherischen Großauftrag zur Veränderung sozialer Realität. Diese muss, so der Künstler, jedoch zunächst beschrieben, analysiert und durchdacht werden, bevor man sich mit ihr auseinander setzt. Zerstörte Geräte und spektakuläre Dokumente explodierender Technik sucht man deshalb vergeblich in den kargen Winkeln der Generali Foundation. Textdokumente, aufgeräumte Installationen und Modelle dominieren die Präsentation: Ergebnisse einer facettenreichen, oftmals sogar widersprüchlichen Gesellschaftsanalyse.
Für die nicht realisierte Installation „Erde minus Umwelt (1992)“, von der ein Modell zu sehen ist, wollte Metzger die Abgase hunderter PKWs in einen Plexiglasschlauch leiten. Hier sind die Positionen klar: Der schmutzig gelbe pneumatische Ring funktionierte als Ekel-Manifestation allgegenwärtiger Umweltverschmutzung. Bei einer Ausstellung mit skandalträchtigen Headlines und sexistischen Motiven aus der britischen Yellow Press, die Metzger seit 1977 plante und die in Wien mit aktuellen Ausgaben endlich realisiert wurde, verlaufen die Fronten nicht ganz so klar. Die Installation als bloße Kritik an der Wirklichkeitsverfälschung von Massenmedien zu verstehen, würde Metzgers Ansatz nicht gerecht. „Die Medien sind eben auch unser wichtigstes Instrument zur Dokumentation der Realität“, schreibt der Künstler.
Genauso ambivalent ist die Haltung Metzgers zur Technik selbst. In seinen Schriften kennzeichnet er die Dominanz der Technologie als Hauptübel der modernen Gesellschaft. Gleichzeitig aber zelebriert er die industriell gefertigte Wirklichkeit als Speerspitze der Gegenwartsästhetik. In einer Videodokumentation blickt Metzger staunend über die Dächer Londons und raunt technikeuphorisch: Maschinenerzeugte Formen sind die vollkommenen Formen unserer Zeit. „Abends werden einige der schönsten heutzutage erzeugten Kunstwerke weggeworfen.“ Eine etwas angestaubte und damals wohl vor allem provozierend geäußerte These, die Metzger in Wien fast trotzig durch eine Styroporwanne illustriert, die als fein gefräster Block die Macht industrieller Fertigung ausstellen soll.
Visuell einnehmender ist eine frühe Arbeit, die die automatische Erzeugung von Form nicht mechanischen, sondern physikalischchemischen Prozessen überlässt. „Art of Liquid Crystal“ (1966) zeigt die Form und Farbveränderungen eines Flüssigkristalls unter chemischem Einfluss. Metzger hatte damit in einer Ausstellung so großen Erfolg, dass sich die Bands Cream und The Who ein Jahr später ihre Bühnenshows von den psychedelischen Farbeffekten dieser Kristalle aufpeppen ließen.
Vollkommen konträr zu den üblichen Gesten medialer Sichtbarmachung versucht Metzger historische Dokumente grausamer Gewaltszenen auszustellen, wie die Werkreihe „Historic Photographs“ mit großformatigen Fotos von Verbrechen gegen Juden zeigt. Oder eben gerade nicht zeigt: Zwischen Metallplatten geschweißt, hinter Holzplanken verborgen, von Tüchern verdeckt, sind die Aufnahmen den Betrachterblicken ein für allemal entzogen. Metzgers eigene Familie kam durch den Naziterror um.
Letztlich, so offenbart Metzgers Oszillieren zwischen explosivem Offenlegen und schützendem Verschließen, haben die Aktionen des Künstlers eine bewahrende Funktion: die Bewahrung einer kritischen politischen Haltung. Und diese sollte zwanzig Jahre spielend überdauern.
Erschienen in Süddeutsche Zeitung 02. August 2005.