Für ein Verlagsspecial der FAZ hatte ich den Auftrag, einen Artikel zum Thema Diversity beizutragen. Dabei ging es auch darum, einmal zu schauen, auf welchem Stand wir uns in der ja schon lange geführte Debatte um Vielfalt in Unternehmen gerade befinden.
Mein Ergebnis: Es geht inzwischen um weit mehr als das Ideal, eine immer diversere Lebenswirklichkeit in der Arbeitswelt zu spiegeln. Oder, wie es Ana-Cristina Grohnert, Vorstandsvorsitzende der Arbeitgeberinitiative Charta der Vielfalt, zusammenfasst: „Obwohl es sicher richtig ist, Diversity vor dem Hintergrund sichtbarer Vielfaltskriterien zu denken, ist Vielfalt als Kernelement moderner Unternehmensführung auch unter rein ökonomischen Gründen unverzichtbar geworden.“
Vielfalt zahlt sich aus
Kein Unternehmen kann mehr auf ein umfassendes Diversitymanagement verzichten. Auch aus ökonomischen Gründen.
Klaus Lüber
Das Thema Vielfalt in Unternehmen ist komplex. So komplex, dass es sich immer wieder lohnt, sich bewusst zu werden, wovon genau man eigentlich spricht. Und auf welchem Stand einer Debatte man sich befindet, die schon seit Jahrzehnten geführt wird. „Auch wenn Diversity in der breiten Öffentlichkeit immer noch vor allem unter dem Aspekte der Geschlechtergerechtigkeit wahrgenommen wird, verbunden mit der Forderung, doch dringend mehr Vielfalt herzustellen, ist Vielfalt in einem breiteren Verständnis inzwischen in jedem globalen Konzern längst Realität“, sagt Nina Straßner, Head of Diversity and Inclusion Germany beim Softwareunternehmen SAP. „Vielfalt muss man letztlich nicht erst schaffen, Vielfalt ist ein Fakt. Die Herausforderung ist, Vielfältiges zu fördern und in produktive Balance zu bringen.“
MitarbeiterInnen aus über 150 Ländern, unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Generationen und Lebenswirklichkeiten muss der Softwarekonzern täglich in unzähligen Teams zusammenbringen und, will er erfolgreich sein, so moderieren, dass ein produktiver Austausch möglich ist. Inklusion nennt man diesen Prozess, der im Begriffspaar Diversity and Inclusion (D&I) längst zum zentralen Bestandteil strategischer Unternehmensführung geworden ist. Wie sich beide Konzepte aufeinander beziehen, erklärt Straßner anhand eines anschaulichen Bildes: „Diversity ist die Einladung zur Party, Inklusion ist die Aufforderung zum Tanz. Ziel dabei ist es, dass jeder so tanzt, als würde niemand zuschauen.“
Aus dieser Logik heraus wird auch klar, warum das Thema Vielfalt im Unternehmen inzwischen weit mehr umfasst als das Ideal, eine immer diversere Lebenswirklichkeit in der Arbeitswelt zu spiegeln. „Obwohl es sicher richtig ist, Diversity vor dem Hintergrund sichtbarer Vielfaltskriterien zu denken, ist Vielfalt als Kernelement moderner Unternehmensführung auch unter rein ökonomischen Gründen unverzichtbar geworden“, so Ana-Cristina Grohnert, Vorstandsvorsitzende der Arbeitgeberinitiative Charta der Vielfalt.
Als Managing Partner half die Expertin für Finanz- und Risikomanagement der Unternehmensberatung Ernst & Young nach der Finanzkrise 2008, die Personalstrategie neu auszurichten. „Uns war klar, dass wir nur dann wettbewerbsfähig bleiben können, wenn wir uns von einer Experten- hin zu einer teamorientierten Organisation entwickeln.“ Doch wie gelingt eine solche Transformation? Eine Vielfalt von Studien gingen dieser Fragestellung nach und kamen zu einem recht eindeutigen Ergebnis: Das Erfolgsgeheimnis ist eine Kombination aus diversen Teams und einer Führungskraft, die in der Lage ist, all die unterschiedlichen Perspektiven auch zu berücksichtigen. „Diese Teams sind nachhaltiger und erfolgreicher in ihrer Innovationskraft und damit auch in ihrem wirtschaftlichen Output.“
Aktuelle Zahlen hierzu liefert ein Paper von Deloitte aus dem Jahr 2018. Unter dem Titel „The rise of the social enterprise“ werden drei Erfolgsfaktoren für Unternehmen definiert: Mitarbeiterengagement, Kundenzufriedenheit und Innovationskraft. Für alle drei Bereiche ermittelt die Unternehmensberatung massive Steigerungsraten durch ein erfolgreiches Inklusionsmanagement („inclusive cultures“). In diesem Fall sei es dreimal wahrscheinlicher, dass Mitarbeiter zu Höchstleistungen fähig sind, sechsmal wahrscheinlicher, dass das Unternehmen innovativ arbeitet und eine positive Kundeninteraktion sogar achtmal wahrscheinlicher. „Jedes Unternehmen braucht Optionen, um erfolgreich zu sein. Und die stehen nur dann zur Verfügung, wenn wir nicht zehn weitestgehend gleich sozialisierte Menschen miteinander diskutieren lassen“, so Grohnert. „Die kommen nämlich nach fünf Minuten zu einem einzigen Ergebnis. Was wir aber eigentlich brauchen, ist eine Vielfalt von Perspektiven. Und einen CEO, der diesen Prozess mitgeht.“
Sehr prägnant brachte den Zusammenhang zwischen Diversity und ökonomischem Erfolg Brigitte Kasztan, ehemalige Diversity-Managerin bei Ford Europe, im Gespräch mit der ZEIT 2012 zum Ausdruck. Diversity verkaufe Autos, so Kasztan. Zum einen durch die höhere Innovationskraft, die sich in gemischten und gut geführte Teams entfalte. Zum anderen durch die schlichte Tatsache, dass eine diverse Belegschaft dabei helfe, sich besser in die diverse Kundschaft hineinzuversetzen. An dieser Haltung habe sich nichts geändert, bekräftigt Kasztan Nachfolger und aktueller Diversity-Manager für die Ford-Werke GmbH Deutschland Volker Ehrentraut. „Wenngleich durch die aktuellen disruptiven Kräfte, mit denen wir es in der Automobilindustrie zu tun haben – von der Digitalen Transformation bis hin zur Corona-Krise – der Aspekt Innovation und Kreativität natürlich einen besonderen Fokus erhält.“
Auch für Nina Straßner von SAP ist die Corona-Pandemie ein weiterer Beweis dafür, wie ungemein zentral das Thema Diversity inzwischen ist, um als Unternehmen zukunftsfähig zu bleiben. „Durch das Home-Office ist ja eine vollkommen neue Vielfalts-Dimension hinzugekommen. Plötzlich ist die Frage ein Thema: Wie leben unsere MitarbeiterInnen eigentlich zuhause? Mit welchen Herausforderungen haben sie zu kämpfen? Gibt es die Gefahr von Isolation?“ Zudem entwickle man gerade einen vollkommen neuen Blick auf Barrieren im Arbeitsleben, berichtet Straßner. „Wir alle merken plötzlich, wie drastisch es sein kann, sich nicht einloggen zu können, manchmal aus technischen Gründen im wahrsten Sinne stummgestellt zu sein.“
Sich um MitarbeiterInnen kümmern, ihre Sorgen und Wünsche ernst nehmen, das heißt auch, ihnen möglichst viele Optionen zur Entfaltung im Unternehmen zu bieten. Und die Möglichkeit, sich in andere Arbeits- und Wissensfelder einarbeiten zu können. Bei SAP kann die Belegschaft sich im Rahmen eines Fellowship-Programms intern weiterbilden. „Nehmen wir an, Sie arbeiten im Bereich HR und möchten gerne mehr über den Bereich Controlling erfahren. Dann absolvieren Sie einfach ein Praktikum bei den Kollegen“, so Straßner. Hier zeige sich ein weiterer positiver Effekt eines guten Diversity-Managements: die geringen Mitarbeiterfluktuation.
Am Ende, auch das macht das Konzept von Diversity und Inklusion so wertvoll, spiegelt sich die strategischen Stringenz für die Unternehmensführung in einer größeren, gesamtgesellschaftliche Dimension. „Als Unternehmen Vielfalt zuzulassen, heißt ja immer auch, mit anderen Akteuren, maßgeblich der Politik und Wissenschaft, im Dialog zu bleiben“, betont Ana-Cristina Grohnert. „Und diesen Austausch brauchen wird gerade in Krisenzeiten dringend. Er ist die adäquate Antwort auf das bloße Dagegen populistischer Dynamik.“