Jagd auf die Vlogs

8.08.2005

Noch mit Anlaufschwierigkeiten: Amateurfilme im Netz

Aus Format, das beweist die Mediengeschichte immer wieder, entsteht Inhalt, und nicht umgekehrt. Oft ist es anfangs völlig unklar, wie neue Technologien genutzt werden können, und was man sieht und hört ist in der Regel nicht mehr als das Ergebnis eines Wahrnehmungsexperiments. In frühen Stummfilmen rennen ganze Dörfer auf absurden Verfolgungsjagden minutenlang durchs Bild, einfach nur, um dem Medium das zu liefern, was es am besten zeigen kann: Bewegung. Die Inhalte sind zunächst nur dazu da, die Technik auszureizen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch wenn die Technik, die einst, vor einem Jahrhundert, das Jahrmarktspublikum paralysierte, heute von diesem selbst vereinnahmt wird.

Seit kurzem werden sogenannte Vlogs, kleine, im Internet veröffentlichte Amateurfilme, als neues Medienformat mit revolutionärem Potenzial gefeiert. Die technologischen Voraussetzungen für derartige Betätigung sind günstig. DV-Kameras sind billig, ebenso professionelle Schnittsoftware, der Webspace, den man benötigt, um die Stückchen zu speichern, wird immer billiger und die Internetverbindungen, um sie sich anzuschauen, immer schneller. Über die neuste Version von Apples iTunes kann man sich bereits Vlogs downloaden und ab September wohl auch auf den neuen videofähigen iPods abspielen.

Die Technik steht bereit, und doch lässt das Gesendete bislang noch ziemlich zu wünschen übrig. Seit Januar quält sich der 18-jährige Brite Ian Mills für seinen Vlog „Project 05“. Jeden Tag des Jahres, so hat er sich vorgenommen, soll eine kleine Videobotschaft auf seiner Webseite erscheinen. Dabei gingen ihm schon nach einem Monat die Themen aus. Mittlerweile geht es in seinen Clips darum, im blauen Licht dazustehen oder eine Halogenlampe vor seiner Zimmertür zu entfernen. Wenn gar nichts mehr hilft, lässt sich Mills Ekelprüfungen von seinem Publikum stellen. Eine schöne Idee, die leider nicht von ihm, sondern von den Machern von MTV-„Fear Factor“ stammt.

Etablierte TV-Formate scheinen auch für experimentelle Vlogs noch am besten zu funktionieren. Das gilt umso mehr, je ambitionierter die Clips produziert werden. Auf Rocketboom.com, einer der beliebtesten Seiten, kann man täglich eine satirische Nachrichtensendung abrufen, die vom Comedy-Vorbild kaum noch zu unterscheiden ist. Amanda Congdon, die Sprecherin, zelebriert eine professionelle Ironie, ihre „Korrespondenten“ agieren so souverän wie ihre professionellen Kollegen.

Noch deutlicher wird es bei Steve Garfield, einem Congdon-Korrespondeten mit eigenem Weblog: Die Vlogger verstehen sich als Konkurrenz zu etablierten Medien. Die „Carol & Steve“-Show, die den Vlogger und seine Freundin Carol bei Freizeitaktivitäten oder bei der Bewältigung von Alltagsproblemen zeigt, wirkt wie eine Mischung aus Reality-Doku und Verkaufsshow. Und auf Garfields Seite prangt ein Banner der Firma Akimbo, die Filme und TV-Programme über einen Breitbandanschluss per video-on-demand anbietet. Mit im Programm: Die Clips von Garfield.

Trotz all dieser Banalität und offensiver Vermarktungsstrategien gibt es auch Webseiten wie die von Chuck Olson. Dort gibt der Dokumentarfilmer seine Visionen über das revolutionäre Potenzial des Vlogging kund. „Jeder kann Inhalte produzieren und an den etablierten Mainstream-Medien vorbei veröffentlichen. Das ist wie ein von den Konsumenten betreuter Kabelanschluss.“ Mit seiner Auswahl an Reportagen, Interviews, abgefilmten Schwarzweiß-Kurzfilmen, experimentellen Musikvideos und eigenen Videokunst-Experimenten wird Chuck Olson diesem von ihm propagierten Anspruch bislang selbst noch am ehesten gerecht.

Erschienen in Süddeutsche Zeitung am 08. August 2005.