Kanak Sprak

5.04.2006

An sozialen Brennpunkten verändert sich auch die deutsche Sprache

Die Sprache im deutschen HipHop ist hart geworden. Kein Monat vergeht, in dem nicht irgendein Album eines, vornehmlich aus der Hauptstadt stammenden, Skandalrappers wegen frauenfeindlicher, gewaltverherrlichender oder gar rechtsradikaler Texte auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien landet.

Die betroffenen Künstler selbst rechtfertigen den Sex- und Gewaltslang mit einem der Rapkultur eigenen Bedürfnis nach ungeschminktem Abbilden sozialer Realität und dem Hang zu verbaler Aggression: Potentielle Konkurrenten mit Worten möglichst effektvoll zu degradieren sei nun einmal ein fester Bestandteil der HipHop Kultur, behaupten die Enfants terribles der Szene wie Bushido oder Sido. Zu diesem Zweck bediene man sich eben Metaphern, die im jeweiligen Kulturkreis das größtmögliche Provokationspotential besitzen.

Man kann sich lange darüber streiten, wieviel Realität tatsächlich aus solchen Sprachkaskaden spricht oder wie viel geschicktes Marketing sich dahinter verbirgt. Viel interessanter jedoch ist die Frage nach dem kulturellen Kontext, dem die Rüpel-Texte entstammen und der eigentlich erheblich mehr zu bieten hat als infantile Jugendsprache sowie Sex and Crime-Vokabeln. „Die HipHop Szene wirkt als Verstärker für einen neuen Ethnolekt des Deutschen, der auf oftmals erstaunlich kreative Weise Deutsch mit Türkisch oder anderen Immigrantensprachen kombiniert“, sagt der Sprachwissenschaftler und Rap-Experte Jannis Androutsopoulos von der Universität Hannover.

Lange schon gilt der sogenannte „Türkenslang“ als einflußreicher Sprachtrend. Bereits vor zehn Jahren beschrieb der Schriftsteller Feridun Zaimoglu das gepreßte und genuschelte Deutsch, wie es in Einwanderervierteln in Frankfurt oder Berlin gesprochen wird, als eigenständige Sprache: Die „Kanak-Sprak“. Wie das jamaikanische Kreolisch, so behauptete Zaimoglu, würde auch das Immigrantendeutsch als eine neue, kreative Sprachform entstehen, mit Wortneuschöpfungen und „Underground-Kodex“. Zwar wurde der Sprachstil schnell von der sogenannten „Ethno-Comedy“ vereinnahmt. TV-Komiker wie Erkan und Stefan oder Kaya Yanar („Was guckst du?“) etablierten das Türkendeutsch als leicht debiles Gestammel schrulliger Machos: Längst ist das latent diskriminierende Mimen goldkettchentragender Türkenprolls zum gern verwendeten Stilmittel im Alltagsdeutsch geworden. Mit der Sprache, die tatsächlich in den Ghettos großer deutscher Städte gesprochen wird, hat das aber recht wenig zu tun, stellt Androutsopoulos fest. „In den Immigrantenvierteln Hamburgs oder Berlins wird ein multiethnischer Sprachmix gesprochen. Anderssprachige Begriffe werden dabei mühelos in den Sprachfluß integriert. Mit dem Türkenslang, wie wir ihn aus der Comedy kennen, hat das nichts zu tun.“

Bisweilen führt die Mehrsprachigkeit gar zu einer Steigerung der Sprachkompetenz im Deutschen. Völlig konträr zum Klischeebild des stammelnden Türstehers oder einsilbig aggressiven Machos kultivieren gerade Einwandererkinder aus der Mittelschicht ein besonders eloquentes Deutsch. So kann es passieren, dass der Sohn des türkischen Eckladenbesitzers den verdutzten Kunden mit Höflichkeitsfloskeln überrascht, die mittlerweile selbst bei Muttersprachlern Seltenheitswert haben: „Ich habe zu danken, der Herr!“ Androutsopoulos wundert das wenig: „Der Ethnolekt ist so vielfältig wie die sozialen Schichten, in denen er gesprochen wird.“

Das Image des multiethnischen Sprechens beginnt sich zu ändern. Auf den Schulhöfen kann man beobachten, wie deutsche Kinder Sprache und den Stil ihrer multiethnischen Klassenkameraden nachahmen. Und bisweilen wirken deren bilinguale Mischgespräche so beeindruckend, dass selbst Nicht-Türken beginnen, türkische Ausdrücke in ihren Wortschatz zu übernehmen. „Auch wenn das in der Regel nur Floskeln sind: Feldstudien aus Hamburg belegen, wie sich Türkisch dort bereits zu einer allgemein verfügbaren Umgangssprache entwickelt hat“, sagt Androutsopoulos. Auch Heike Wiese, Linguistin an der Humboldt-Universität Berlin bestätigt: „Kiez-Sprache scheint in multi-ethnischen Wohngebieten als eine Art Lingua franca benutzt zu werden, das heißt als Kontaktsprache, die von Jugendlichen ganz unterschiedlichen ethnischen Hintergrunds, und vor allem auch von deutschen Jugendlichen, gerade auch in gemischten Gruppen benutzt wird.“

Und schon beklagen sich besorgte Eltern darüber, ihre Kinder nicht mehr zu verstehen: Sie habe ihren Sohn auf dem Altar der Integration geopfert, bemerkte unlängst eine zerknischte Aktivistin der Kreuzberger Alternativszene. Hier kommt eine Angst zum Vorschein, die mit der üblichen Irritation sprachkonservativer Erziehungsberechtigter anlässlich jugendsprachlicher Geheimcodes vermutlich nicht ausreichend erklärt werden kann. Vom „steilen Zahn“ der siebziger Jahre bis hin zu aktuellen Komposita wie „Fußhupe“, einem zeitgenössischen Synonym für einen kläffenden Vierbeiner, wie das „Pons-Wörterbuch der Jugendsprache 2005“ aufklärt: Immer ist es die hinlänglich bekannte pubertäre Rebellion, die sich neue Worte schafft.

Nur kann es heute passieren, dass der 16jährige Sproß seinem deutschen Kumpel im Bus statt „geile Braut, Adler“ ein herzhaftes „Tam tschuki, Lan!“ zuraunt, sobald die Klassenschönste zusteigt. „Tam“ verkürzt das türkische tamam für genau, „tuschki“ das Adjektiv cok iyi für toll, super. „Lan“ bedeutet Kumpel. Der oftmals banale Jugendkontext sollte nicht über das Potential dieses gemischtsprachigen Stils hinwegtäuschen. „Bestimmte Merkmale von Kiez-Sprache könnten sich auf die Majoritätssprache ausbreiten und zu einem urbanen Dialekt führen, wie das zum Beispiel für New York beobachtet wird“, prognostiziert Heike Wiese.

Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia befindet bereits zum Stichwort „Kanal Sprak“: „Innerhalb der Mainstreamkultur entstehen die ersten rohen Entwürfe für eine ethnizistische Struktur in Deutschland.“ Auch wenn in deutschen Raptexten weiter auf tiefstem Niveau gepöbelt wird und bei Weitem nicht alles, was man auf Kreuzberger Schulhöfen hören kann, sich durch besondere sprachliche Qualität auszeichnet: Der neue Ethnolekt des Deutschen nimmt Einfluß auf die Hochsprache. Nicht nur im negativen Sinn.

Erschienen in Die Welt am 05. April 2006.