Ein Zeichensystem der Gerüche entwickeln, so lautet das ehrgeizige Ziel des Künstlers, Wissenschaftlers und Erfinders Wolfgang Georgsdorf. Dazu hat er den Prototypen einer genialen Riech-Maschine gebaut: den „Smeller“.
Herr Georgsdorf, vor einigen Monaten gab Google den Start von „Google Nose“ bekannt, einer Duft-Suchmaschine, mittels derer man Gerüche direkt am Bildschirm erschnuppern kann. Die Software, hieß es, wandelt hierzu Luft- in Duftmoleküle um. Sind Sie auch schon Nutzer?
Google Nose war ein gelungener Aprilscherz. Aber im Ernst: Die Möglichkeiten, die hier noch als Vision aufscheinen, sind in Ansätzen längst gegeben. Wir können heute schon Geräte bauen, die uns Gerüche in einer Art und Weise wahrnehmen lassen, wie wir es vor kurzem noch nicht für möglich gehalten hätten.
Sie haben ein solches Gerät gebaut.
Ja, den Smeller. Kein Aprilscherz. Im Sommer 2012 zur Ausstellung Sinnesrausch in Linz habe ich die Erfindung erstmalig vorgestellt. Mit einem Team aus Experten, darunter Architekten, Designer, Parfümeure, Mechatroniker, Chemiker und Klimatechniker, haben wir den Prototypen einer Maschine konstruiert, die es ermöglicht, Gerüche sequenziell wahrzunehmen. Also in einer Abfolge von Zeichen, wie wir es von Bildern, Tönen und Buchstaben schon seit langem gewohnt sind.
Und das funktioniert?
Sogar sehr gut. Mit dem Smeller ist es möglich, Gerüche in einem Raum zu verteilen und so schnell verschwinden zu lassen, wie sie gekommen sind. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen mit jedem Atemzug einen neuen Duft auf. Und zwar ohne dass diese Düfte sich überlagern. Geruchsfolgen, „Smellodies“, die kommen und gehen wie Bilder, an- und abklingen wie Töne. Das ist eine vollkommen neue Art der Wahrnehmung, eigentlich mit nichts zu vergleichen, was wir kennen.
Eine Welt voller Duftmoleküle
Wie meinen Sie das?
Wir haben normalerweise nicht die Möglichkeit, Gerüche als dramatische, zeitbasierte Poesie zu erleben. Die Welt ist voller in der Luft verteilter und sich überlagernder Duftmoleküle. Mit Smeller können wir aber die Kontrolle über die Raumluft haben. So wie man es geschafft hat, im Kino das Licht und im Konzertsaal den Schall in bestimmte Bahnen zu lenken, haben wir es mit Smeller geschafft, die Luft im Raum bis in kleinste Verwirbelungen hinein zu manipulieren.
Das klingt extrem aufwendig.
Smeller ist ein komplexes Gerät, aber der Aufwand ist relativ, wenn man ihn mit der Anstrengung vergleicht, die etwa notwendig war, um das zu konstruieren, was wir heute Kino nennen – mit all den Ingenieursleistungen, den komplizierten Maschinen, dem hochexplosiven Zelluloid. Oder bedenken Sie den Aufwand, der notwendig ist, um eine Orgel in einem Dom erklingen zu lassen: all die Tonnen von Blech, die Windladen, Schläuche, Gebläse, all die Berechnungen zur Raumakustik, Schall-Brechungen, Echos. Ich wundere mich schon lange darüber, warum wir das Medium Geruch nicht längst auf ähnliche Art und Wiese kultiviert haben wie die Medien Bild und Ton. Denn die Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks sind fantastisch. Es ist ein neues Paradigma.
Geruchsfolgen und Sinolfien
Wie würden Sie das Wahrnehmungserlebnis in einem Smeller-Raum beschreiben?
Man erlebt durch bloßes Atmen und Riechen eine Fülle, wie man sie sonst nur von der Überwältigung audiovisueller Eindrücke kennt. Und damit meine ich nicht nur Erinnerungsflashbacks, die sogenannten Proust-Effekte, die Gerüche bekanntlich auslösen können. Smeller strömt Geruchsfolgen in einer Präzision aus, die weit über das Evozieren konkreter Analogien hinausgeht, also Orte, Zeiten oder Erlebnisse. Denken Sie an den Geruch des Schnees, ein Tag, bevor es schneit, den Geruch der Straße im Sommer, nachdem der Regen gefallen ist, Schwaden von Harzen, Moosen, Flechten, Pilzen, die uns ganz knapp über der Wasseroberfläche in die Nase kommen, während wir im Spätsommer durch den See schwimmen. Und nun stellen Sie sich vor, diese Erlebnisse verbinden sich zu etwas vollkommen Neuem.
Das heißt, man kann regelrecht Geruchsstücke „komponieren“?
Ganz genau. Ich nenne Sie „Sinolfien“, in Anlehnung an Sinfonien in der Musik. Einige habe ich für den Smeller schon geschrieben, darunter zum Beispiel Häuserfugen, in der man gebaute Räume einer Stadt olfaktorisch ergründen kann: Bahnhof, Flughafen, Restaurant, Autofahrt, Liftkabine, Hotellobby, Badezimmer, Hallenbad, Spielkasino. Oder Eine Kindheit, die in elf Sätzen die Geruchswelt eines Kindes erlebbar macht, von der Geburt bis zur ersten Liebe: Mein erster Frühling, mein erster Zirkus mit dem Geruch von Zuckerwatte und Tiger-Urin, mein erster Schultag mit dem Geruch des Radiergummis, des Linoleums, der Tinte, des Papiers, der Schuhe, der Kleider. Und 2013 habe ich beim Filmfestival Crossing Europe NO(I)SE vorgestellt, den ersten Geruchsfilm für Kino via Smeller.
Exploratorium des Geruchssinns
Wo kann man den Smeller im Augenblick erleben?
Momentan leider gar nicht. Wir sind aber in Berlin mit einigen Kulturentscheidern im Gespräch. Ich glaube, es ist ganz wichtig zu verstehen, dass es sich beim Smeller um weit mehr handelt als nur eine Kunstinstallation. Der Smeller ist ein Exploratorium des Geruchssinns, der Prototyp eines multisensorischen Raums, einer komplexen Hard- und Software, die Riechen als ein den anderen Sinnen ebenbürtiges Medium erfahrbar macht. Die Zeiten, in denen das Riechen als „lower sense“, als „Stiefsinn“ abgekanzelt wird, könnten bald vorbei sein.
Das Riechen wird uns als technisch implementiertes Medium in nächster Zeit also immer häufiger begegnen?
Davon bin ich überzeugt. Ich glaube, es ist nur noch eine Frage der Zeit. Wir werden eine Art Geruchsfernsehen erleben, aufwendige Duftmarketing-Kampagnen. Und wir werden lernen, neu und differenzierter über Gerüche zu sprechen: wie wir sie wahrnehmen, wie wir sie codieren, wie sie uns manipulieren. So wie es uns bei Bildern oder Tönen längst geläufig ist.
Erschienen auf www.goethe.de im September 2013
Copyright: Goethe-Institut e. V., Internet-Redaktion
September 2013
Bild: Smeller | © Wolfang Georgsdorf