Qualität durch Kooperation – Rechercheverbund NDR, WDR, SZ

1.10.2016

Investigative Recherche ist zeitaufwendig, teuer – und dennoch unverzichtbar. Einige deutsche Medien reagieren darauf, indem sie sich zu Rechercheverbünden zusammenschließen. Doch diese sind nicht unumstritten.

Ende 2011 kam es zu einer Kooperation zwischen dem öffentlich-rechtlichen Norddeutschen Rundfunk (NDR) und der auflagenstärksten deutschen Abonnement-Tageszeitung, der Süddeutschen Zeitung (SZ). Wie alle deutschen Medien recherchierten auch NDR und SZ mit Hochdruck zu den Hintergründen der im November 2011 bekannt gewordenen rechtsextremistischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). „Wir hatten schon in den Jahren zuvor gut zusammengearbeitet“, erinnert sich Stephan Wels, Leiter des Ressorts Investigation beim NDR. „Einer unserer Mitarbeiter stand auch beim Rechercheteam der SZ unter Vertrag.“ Und so begannen beide Redaktionen, wichtige Informationen miteinander zu teilen.

Inzwischen ist aus dieser Kooperation einer der bekanntesten deutschen Rechercheverbünde für investigativen Journalismus geworden. Seit 2014 ist auch der Westdeutsche Rundfunk (WDR) Teil des Verbunds. Gemeinsam waren NDR, WDR und SZ unter anderem an Enthüllungen zum geheimen Drohnenkrieg der USA, zu der Rolle des Bundesnachrichtendiensts in der NSA-Affäre, den schmutzigen Geschäften einer Schweizer Bank (Swiss-Leaks) und – als bisher größter Scoop – den Geldwäsche-Praktiken sogenannter Offshore-Firmen (Panama Papers) beteiligt.

Verbünde gegen die Medienkrise

Sich zu Rechercheverbünden zusammenzuschließen, scheint folgerichtig angesichts der schwierigen Bedingungen, unter denen investigative Journalistinnen und Journalisten in Deutschland heute arbeiten. „Es gibt immer weniger Redaktionen, die die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen möchten“, sagt Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Zum einen sparen deutsche Medien zunehmend am Personal, zum anderen steige das generelle Arbeitspensum. „Heute wird quantitativ mehr Output verlangt. Und qualitativ ist es gerade die investigative Recherche, die naturgemäß extrem aufwendig ist, und die dann manchmal auf der Strecke zu bleiben droht.“

In einer Recherchekooperation wie zwischen dem NDR, WDR und SZ dagegen ermöglichen eigene Investigativ-Ressorts der einzelnen Medien ihren Journalisten, sich aus dem Tagesgeschäft herauszuhalten und sich intensiver in ein Thema einzuarbeiten. In einem zweiten Schritt kommt es zur Bündelung von Kompetenzen in Form einer „anlass- und themenbezogenen Zusammenarbeit“, wie es Stephan Wels beschreibt. Sobald einem Medium brisante Informationen zugehen und es sich herausstellt, dass die Partner am selben Thema arbeiten, besteht die Möglichkeit, sich auszutauschen. „Auf diese Weise kann eine Recherche deutlich an Tiefe gewinnen. Es ermöglicht uns, Informationen zu validieren und ergänzen.“

Recherchen werden immer internationaler

Hinzu kommt, dass immer mehr Themenfelder einen internationalen Bezug aufweisen. Einen seiner bislang größten Auftritte hatte der Rechercheverbund im April 2016 bei der Veröffentlichung der sogenannten Panama Papers. Diese umfassten am Ende rund 11,5 Millionen Dokumente. Die Auswertung der Datenmenge war zu aufwendig für ein einzelnes Medium wie die Süddeutsche Zeitung, der die Daten zugespielt wurden. „Eine solche Aufgabe ist nur im Verbund zu bewältigen“, sagt Wels. Im Falle der Panama Papers ging dieser noch weit über das nationale Netzwerk von NDR, WDR und SZ hinaus. Federführend bei der Aufarbeitung der Daten durch 400 beteiligte Journalisten weltweit war das International Consortium for Investigative Journalists (ICIJ).

So sinnvoll die Bündelung von Kompetenzen und internationale Zusammenarbeit auch ist – es gibt auch Kritik am Rechercheverbund. Die Bündelung von Kompetenzen in miteinander kooperierenden Investigativ-Abteilungen könne zu einer Schwächung hauseigener Investigativ-Formate, etwa der TV-Politmagazine der ARD, führen, erklärt Frank Überall vom DJV. „Das eigentliche Problem ist der Sparkurs in den Redaktionen.“ Wenn dieser dazu führe, dass für regionale Recherchen immer weniger Mittel zur Verfügung ständen, seien große Verbünde mit überregionalen Themen keine Lösung, sondern im ungünstigsten Fall sogar kontraproduktiv. „Die Erfolge dürfen kein Feigenblatt sein für bestehende Missstände.“

Medienrechtliche Bedenken

Hinzu kommen medienrechtliche Bedenken. Die Handlungsspielräume des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland sind klar definiert. Zwar ist eine Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Sendern grundsätzlich möglich – allerdings nur in begründeten Fällen. Etabliert sich ein solcher Verbund dauerhaft, könnte das zu einer Wettbewerbsverzerrung führen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziert sich in Deutschland über Gebühren. Im Falle des Rechercheverbunds NDR, WDR, SZ steht die Frage im Raum: Wenn das Privatunternehmen SZ von der Arbeit öffentlich-rechtlicher Rundfunksender profitiert, ist das dann nicht eine verdeckte Subvention durch den Gebührenzahler?

Stephan Wels, der Leiter des Investigativ-Ressorts beim NDR, kann mit dieser Kritik wenig anfangen. Zum einen beobachte er eine generelle Ausweitung des investigativen Engagements, auch in der Zusammenarbeit mit lokalen Redaktionen. „Die Erkenntnis, dass guter und erfolgreicher Journalismus für das öffentlich-rechtliche System so wichtig ist, hat beim NDR gerade zu einem Ausbau von Ressourcen geführt.“ Zum anderen findet er auch den Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung nicht wirklich stichhaltig. „Die SZ hat keinerlei Zugriff auf die Ressourcen des öffentlich-rechtlichen Systems. Es geht lediglich und ausschließlich um den Austausch von Informationen.“ Darüber hinaus seien Medienkooperationen nach dem Muster von NDR, WRD und SZ inzwischen gang und gäbe. „Das Prinzip, dass es gut ist, wenn man im investigativen Bereich stark ist, und dass es sinnvoll ist, sich mit Partnern zusammenzuschließen, hat sich längst in der Breite durchgesetzt.“