Mit Fakten gegen Fake News

1.06.2017

Deutsche Medien stecken in einer Glaubwürdigkeitskrise. Um Vertrauen zurückzugewinnen und gegen Manipulationen und Falschinformationen im Internet vorzugehen, haben sie verschiedene Initiativen gestartet.

Haben Sie schon einmal etwas von der Goldbarren-Verschwörung gehört? Demnach würden große Teile der deutschen Goldreserven nicht mehr existieren – sie wären heimlich von den USA aus gestohlen und durch gefälschte Barren ausgetauscht worden. „In den sozialen Medien ist diese Geschichte sehr präsent, Videos dazu werden 10.000-fach geklickt“, erzählt Patrick Gensing. „Das ist dann für uns immer der Indikator, dass es sich lohnt, aktiv zu werden.“

„Faktenfinder“: Licht ins Dunkel bringen

Gensing ist Leiter von Faktenfinder, einer Anfang April 2017 gegründeten Recherche-Abteilung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkverbundes ARD. Faktenfinder ist der Tagesschau, der zuschauerstärksten TV-Nachrichtensendung in Deutschland zugeordnet. Ziel ist es, das Internet nach Geschichten zu durchsuchen, die falsch und auf den ersten Blick vielleicht irrelevant erscheinen, jedoch das Potenzial haben – verstärkt durch soziale Medien – den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen. Diese werden nachrecherchiert und Unwahrheiten werden richtiggestellt. Im Falle der Gold-Verschwörung handelt es sich bei näherer Betrachtung um eine urbane Legende. Die Recherche-Ergebnisse werden zentral auf der Website faktenfinder.tagesschau.de veröffentlicht.

Für Patrick Gensing ist Faktenfinder auch ein Versuch, endlich Licht ins Dunkel eines Phänomens zu bringen, über das sich deutsche Medien gerade wegen der Bundestagswahl im September 2017 zunehmend Sorgen machen: die sogenannten Fake News, besser Miss- und Desinformation, also gezielte Falschmeldungen. „Wir wissen nicht, ob solche über das Internet verbreiteten Unwahrheiten bei uns eine ähnlich prominente Rolle spielen werden wie beim Brexit-Votum oder den Wahlen in den USA und in Frankreich. Aber es gibt Gründe, das anzunehmen“, sagt Gensing. „Wir wollen mit Faktenfinder auch herausfinden, wie groß das Phänomen tatsächlich ist.“

Wenig Vertrauen in die Medien

Dass Fake News ein so großes manipulatives, demokratiegefährdendes Potenzial zugeordnet wird, hat auch mit einem Glaubwürdigkeitsdefizit klassischer Medienangebote in der Bevölkerung zu tun. „Aus mehreren Studien wissen wir, dass aktuell zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Deutschen auch zu durchaus vertrauenswürdigen Medien überhaupt kein Vertrauen hat“, so Carsten Reinemann, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Ludwigs-Maximilians-Universität München.

Eine mögliche Ursache sieht Reinemann unter anderem in problematischen Entwicklungen im Medienbereich, die journalistische Fehlleistungen bedingen: Eine zunehmende Beschleunigung der Berichterstattung aufgrund ökonomischer Zwänge kann etwa zu mangelnder Sorgfalt führen. Hinzu kommen ein Trend zur Skandalisierung und die Einflüsse von Politik, Werbung und PR.

Zum anderen handele es sich laut Reinemann aber auch um die Effekte einer politischen Agenda: das Narrativ der Systemkritik, wie es vor allem die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) propagiert, in dem die Medien die Rolle als Erfüllungsgehilfe der etablierten Kräfte und Manipulatoren der öffentlichen Meinung spielen. „Plötzlich steht zur Diskussion, ob es überhaupt noch einen Konsens darüber geben kann, was wahr und richtig ist“, so Reinemann. Diese Unsicherheit wiederum ist instrumentalisierbar für politische Propaganda. Sobald es etabliert ist, verifizierten Informationen nicht mehr trauen zu müssen, werden plötzlich „alternative Fakten“ möglich.

„Verifikation“: Fake News enttarnen

Der Faktenfinder arbeitet eng zusammen mit Social Listening and Verifikation, einer im Mai 2017 gegründete Einheit des Bayerischen Rundfunks (BR). Auch sie verfolgt das Ziel, Gerüchte, Fake News und Propaganda im Internet zu enttarnen und zu berichtigen. Anders als beim Faktenfinder werden die Ergebnisse nicht auf einer zentralen Website gesammelt, sondern fließen in die laufende Berichterstattung ein.

Es gehe dabei nicht vordergründig um bloße Verifikation, sondern darum, Informationen über Falschmeldungen zur Verfügung zu stellen, erklärt Leiter Stefan Primbs. „Wir wollen die Geschichte richtig erzählen, ohne die Lüge wiederholen zu müssen.“ Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Vermittlung von Medienkompetenz. Erklärbeiträge sollen zeigen, wie sich Gerüchte verbreiten und über unterschiedliche Mechanismen von Propaganda und Falschmeldungen in sozialen Netzwerken aufklären.
„Echtjetzt“: Den Wahrheitsgehalt überprüfen

Ebenfalls im Juni 2017 startete eine Initiative des gemeinnützigen Rechercheverbunds Correctiv. Unter dem Namen Echtjetzt wurde eine Website eingerichtet, auf der ausgewählte Geschichten auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden. Hinweise zu solchen Quellen können von den Nutzerinnen und Nutzern direkt in ein Formular auf der Seite eingetragen oder via Facebook gemeldet werden. Wichtigstes Kriterium für eine Prüfung ist die Relevanz, also vor allem die Verbreitung in sozialen Medien. „Wahrheitsgetreue Berichterstattung und der Kampf gegen gezielte Falschinformationen gehören zu den Kernaufgaben von Journalisten. Es ist wichtig herauszuarbeiten, wie bedeutend das Phänomen Fake News in Deutschland inzwischen wirklich ist“, fasst Jutta Kramm, Leiterin des Echtjetzt-Teams, die Zielsetzung des Projektes, in Anlehnung an den Faktenfinder der Kollegen aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ARD, zusammen.

Carsten Reinemann begrüßt all diese Initiativen, möchte aber davor warnen, sie lediglich als Versuch zu interpretieren, Vertrauenswerte wieder zurückzugewinnen. Die eigentliche Herausforderung liegt für ihn an anderer Stelle: „Fake News in ihrer gefährlichsten Form können Teil eines politisch motivierten Kampfes gegen die freiheitliche, pluralistische Demokratie sein. Die Herausforderung für Journalisten besteht darin, dies zu erkennen und zu entlarven, aber gleichzeitig die berechtigte Kritik am eigenen Medium ernstzunehmen und daraus zu lernen.“

Erschienen auf www.goethe.de im Juni 2017.

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Juni 2017