Kohlebergbau und Energiewende – passt das zusammen? Wie bewältigt Deutschland die Energiewende?

5.11.2018

Esteban Falconi staunt. Der Rechtsanwalt aus Ecuador steht mit anderen internationalen Besuchern auf dem Aussichtspunkt am Rande des Tagebaus Jänschwalde in der ostdeutschen Region Lausitz. Die 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Themenreise „Climate Policy for 2050“, die das Goethe-Institut im Rahmen des Besucherprogramms der Bundesrepublik Deutschland organisiert hatte, blicken hinab auf das zweitgrößte Braunkohlerevier Deutschlands. Tief in der aufgerissenen Landschaft sind Lastwagen stecknadelgroß zu erkennen. In der Ferne dampfen die Türme des Kraftwerks Jänschwalde. Mit 3.000 Megawatt installierter Leistung ist es das drittgrößte Kraftwerk Deutschland.

Schwieriger Abschied von der Kohle

Sebastian Zoepp, Geschäftsführer der Spreeakademie Cottbus informiert die internationalen Gäste über den Braunkohlebergbau in Deutschland. „Braunkohle ist bis heute ein wichtiger Teil der Region“, erklärte Zoepp auf der Busfahrt zur Mine. In der DDR spielte die Lausitz eine Schlüsselrolle für die Energieproduktion des ganzen Landes. 100.000 Menschen arbeiteten Ende der 1980er-Jahre, kurz vor der Wiedervereinigung Deutschlands, im Energiesektor der DDR. „Von den 100.000 sind zwar heute nur noch rund 8.000 Jobs in der Braunkohleförderung übrig. Das Selbstverständnis als Energieregion ist aber nach wie vor stark ausgeprägt“, sagt Zoepp. Ganz abgesehen davon sei Deutschland immer noch stark von der Kohle als Energieträger abhängig – zu 22 Prozent von Braun- und zu 14 Prozent von Steinkohle.

Viele der Besucherinnen und Besucher sind davon überrascht. Deutschland gilt schließlich als internationales Vorbild für die erfolgreiche Transformation hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung. Nun wird nicht nur dem Rechtsanwalt Falconi, der sich in seiner Heimat für den Kampf indigener Gemeinden gegen land- und rohstoffhungrige Konzerne einsetzt, klar: Auch das Energiewendeland Deutschland mit all seinen technologischen Möglichkeiten hat mit Herausforderungen zu kämpfen. „Es geht nicht um Technologie. Da wissen wir ziemlich genau, was wir tun müssen“, sagt Zoepp. „Die Schwierigkeit ist, auch die sozialen Aspekte der Transformation in den Griff zu bekommen.“

Windpark finanziert Kindergarten

In Drehnow, gut eine halbe Stunde Busfahrt vom Tagebau Jänschwalde entfernt, ist das geglückt. 2002 entschied sich das 500-Einwohner-Dorf für den Bau eines Windparks. Die Bewohner vereinbarten mit dem Investor eine kontinuierliche statt einer einmaligen Vergütung für den Betrieb der Windräder. Beim Bau wurden lokale Firmen eingebunden. Jährlich gibt es eine Gewinnbeteiligung, durch die ein Kindergarten subventioniert wird. Jeder Einwohner erhält außerdem 2.000 Euro im Jahr. „Wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Zusammenarbeit gut klappt, empfinden die Menschen die Energiewende als Steigerung ihrer Lebensqualität“, sagt Zoepp.

Wie stark Energieprojekte an die regionalen Gegebenheiten des Landes oder der Region gekoppelt sind, zeigt der Besuch des Solarparks Lieberoser Heide. Dort wurde 2009 das damals größte Solarkraftwerk Deutschlands in Betrieb genommen – auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz der russischen Armee. „Das ist beeindruckend, aber eben auch nur dann möglich, wenn der Platz da ist“, kommentiert Mohammad Ali Nause Russel, stellvertretender Leiter des Büros der Premierministerin Bangladeschs. „Für ein solches Projekt müssten wir 100.000 Menschen umsiedeln.“

Kohlereviere brauchen neue Perspektiven

Inwiefern ist Deutschland Vorbild für eine Energiewende? Wieso hält ein Land, das so viel für die Akzeptanz Erneuerbarer Energien weltweit geleistet hat, immer noch an der Energiegewinnung durch Braunkohle fest? Diese Fragen diskutierten die Gäste später in Berlin unter anderem mit der Brandenburger Landtagsabgeordneten Heide Schinowski (Bündnis 90/Die Grünen), dem Journalisten Carel Mohn vom Informationsdienst Clean Energy Wire und dem Umweltökonomen Benjamin Görlach vom Ecologic Institute.

Schinowski, die selbst aus der Lausitz stammt, betonte die Notwendigkeit eines Identitätswandels in der ehemaligen Kohleregion. „Ohne neue Perspektiven für die Menschen wird es schwer.“ Mohn forderte, das Narrativ der Kohleindustrie als Wirtschaftstreiber zu hinterfragen. „Es ist doch auffällig, dass gerade in Kohleregionen genau das fehlt, was man bräuchte, um die Kohle zu ersetzen. Vielleicht ist es also umgekehrt: Die Kohle verhindert, dass sich eine Region entwickelt.“

Globales Umdenken nötig

Aber reicht das aus, den Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen, wie ihn der aktuelle IPCC-Klimareport kürzlich angemahnt hat? Das fragte Alexandre Shields, Journalist aus Kanada, am Ende der Themenreise. Für Mohammad Russels aus Bangladesch ist die Sache klar: Eine globale Lösung kann es nur dann geben, wenn wir aufhören zu glauben, unsere hohe Lebensqualität nur mit einem hohen Energieverbrauch aufrecht erhalten zu können.

Erschienen am 05.11.2018 auf www.deutschland.de.