Auf nach Berkyo und Tolin

22.06.2006

Wie ähnlich sind sich Berlin und Tokyo? Was haben sich die Künstler aus West und Ost zu sagen? Eine Ausstellung in Berlin wagt den Städtevergleich.

Der virtuellen Welt geht die Luft aus, langsam, schleichend nur, doch unaufhaltsam, und bald schon, so scheint es, wird sie peinlich in sich zusammensacken. Mit einer Art Riesenföhn bewaffnet, müssen die Museumswärter ab und an in die Installation der japanischen Künstlerin Yayoi Kusuma vordringen, einen verspiegelten Raum voll riesiger rot-weiß gepunkteter organischer Formen, um der einen oder anderen Blase mit ein wenig Druckluft wieder zum gewünschten, prall-künstlichen Aussehen zu verhelfen.

Der Föhn selbst ist mit roter weiß gepunkteter Folie beklebt, was ihn als zwar etwas störendes, aber in jedem Fall unverzichtbares Element im Erhalt der halluzinativen Raumerfahrung ausweist.

„Dost Obsession“ ist eine der letzten Arbeiten eines langen, materialreichen Parcours aus japanischer und deutscher Kunst, den die Berliner Neue Nationalgalerie in ihrem jüngsten Städtevergleich Berlin-Tokyo, Tokyo-Berlin im Untergeschoss eingerichtet hat. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der systemimmanente Druckverlust symptomatisch mit dem Ausstellungsvorhaben selbst verknüpft ist.

Berlin und Tokyo, diese vorderhand vollkommen unterschiedlichen Metropolen, so die These, sind in Wahrheit durch ein enges Band kultureller Verbrüderung verknüpft, versteckt zwar, aber durch kunsthistorische Fleißarbeit durchaus ans Tageslicht zu befördern. Im Katalogvorwort wird gar Dan-Brown-artig geraunt von „verborgenen Geschichten“, die es aufzudecken gilt, um das Spektakuläre sichtbar zu machen. Die Kunst als Vermittlerin zwischen fremden Kulturgalaxien.

Fremd, das stimmt wohl, sind sich Japaner und Deutsche nach wie vor, und unterschiedlicher könnten die Bilder von Berlin und Tokyo, wie man sie auch als Nichtweltreisender von den beiden Großstädten kennt, kaum sein. Großzügig und flächig, immer noch mit vielen Freiflächen durchsetzt die deutsche Hauptstadt; auf engstem Raum in die Höhe schießend, chaotisch und menschengesättigt die japanische Megapolis.

Und so nimmt man zunächst tatsächlich etwas verblüfft und dankbar all die Motivverwandtschaften wahr, die sich zwischen deutscher und japanischer Kunst schon um die Jahrhundertwende nachweisen lassen. Brücke-Künstler wie Nolde und Kirchner berauschen sich an Eindrücken aus Fernost, imitieren die japanische Holzschnitttechnik. Japanische Kollegen wie Tetsugoro Yorozu eignen sich im Gegenzug die Maltechnik ihrer westlichen Kollegen an, um traditionelle Szenen in neuem, modernem Licht erscheinen zu lassen. Eine Ausstellung der legendären Galerie Sturm 1914 in Tokyo löst ein wahres Westfieber in der japanischen Kunstszene aus. Maler der Mavo-Bewegung, einer Dada-Schwester nach westlichem Vorbild, kopieren Kurt Schwitters, und die Bildkompositionen von George Grosz inspirierten Japaner zu ähnlichen Werken. Einem der größten Grosz-Verehrer, dem japanischen Künstler Minoru Nakahara, warf man aus eigenen Reihen gar einfallsloses Kopieren vor.

„Einfallsloses Kopieren“ – da ist sie plötzlich, die alte These vom japanischen Kulturkopismus, wonach das Volk aus Fernost seine jahrhundertelange Abschottung gegenüber dem Westen durch ein gigantisches Adaptionsprogramm zu kompensieren sucht. Dies mag ein dummes Vorurteil sein, nur leider scheint dessen bloßes Auftauchen die Darstellung des vermeintlich freundschaftlichen Kulturaustauschs in eine ungünstige Schieflage zu bringen.

Da hilft der Nachweis der Japan-Faszination unter den deutschen Expressionisten recht wenig, ging es doch hier um nichtwestlichen Exotismus, der von der Kultur der Südsee mindestens genauso, wenn nicht sogar nachhaltiger bedient wurde.

Langsam, aber unaufhaltsam beginnt die kuratorische Blase kultureller Wechselwirkung und harmonischen Austauschs, in die man die Ausstellung wohl betten wollte, an Druck zu verlieren. Je weiter man die Stationen des behaupteten deutsch-japanischen Austauschs abschreitet, die Emanzipation der Frau in der „Modern Girls“-Bewegung der zwanziger Jahre, die Bauhaus-Bewegung in der Architektur, die Experimente der „subjektiven Fotografie“, desto loser scheinen die Bande zu werden, die die Kulturen zusammenhalten, desto schlaffer wird die Blase. Um sich schließlich, beim Vergleich deutscher und japanischer Fluxus-Aktionen, gänzlich in der Behauptung aufzulösen, hier sei erstmals die Globalisierung am Werk. Richtig, nur ließe sich das eben genauso für jede andere Metropole der Welt sagen.

Der Trick ist nun, tief durchzuatmen, noch einmal nach oben zu gehen ins lichtdurchflutete Foyer und die grandiose Hügellandschaft aus sich sanft wellenden, schmalen Holzbrettern abzuschreiten, die der japanische Architekt Toyo Ito dort installiert hat. In einem der Hügel sind, einem Fuchsbau gleich, die containerartigen Wohnboxen Tsuyoshi Ozawas eingelassen. Vielleicht als Respektsbezeugung vor der kreativen Energie von Tokyoter Obdachlosen, die sich oftmals auf engsten Räumen Unterkünfte einrichten. Vielleicht als Kostprobe japanischer „Pet Architecture“, einer Minimalbauweise, wie sie die vertretenen Künstler des Ateliers Bow-Wow in Form von absurd winzigen Wohnhäusern realisieren.

Jedenfalls, das Abtauchen in Ozawas filigranen Bau, das Kopfstoßen und Knieanrempeln, das Herumdrücken auf den überall eingebetteten Konsolen und schließlich das Herauskriechen aus der urbanen Wohnhöhle, die so überhaupt nicht ausgelegt ist für schlaksige europäische Körper, könnte dabei helfen, einen grundsätzlichen Gedanken zuzulassen, der das gesamte Ausstellungsvorhaben in ein etwas anderes Licht rücken würde: Nicht irgendwelche krampfhaft behaupteten Gemeinsamkeiten, sondern die nach wie vor riesigen Unterschiede zwischen der europäischen und asiatischen Kultur sind es, die einen lebendigen Austausch ermöglichen. Die durch Stadtmarketing aufgepumpten Harmonieblasen hingegen bewirken manchmal das genaue Gegenteil.

Erschienen in Die Zeit am 22. Juni 2006.