Zwiegespräch mit dem eigenen Ich

23.03.2013

In der Riesenkamera Imago 1:1, die zwei Meter große Unikate produziert, sind die Porträtierten ihr eigener Fotograf – mit spektakulären Ergebnissen

Wenn wir uns durch unsere medientechnologisch gesättigte Gegenwart bewegen, so schrieb der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling einmal, dann sei das so, als ob wir auf einem Meer toter Maschinen surfen. Sämtliche unserer aktuellen Gadgets, so funktional und multimedial sie auch daherkommen, seien doch nichts weiter als Momentaufnahmen eines ganzen Schwarms von Geräten, eines Gewusels an Apparaten, von denen die meisten die gefühlte „Lebenserwartung einer Packung Kekse“ nicht überstiegen.

Das Zitat stammt aus einem Text namens „Dead Media Manifest“, in dem Sterling die Idee entwickelt, in einer Mailingliste vergessenen Apparaten zu gedenken. Nun ist das „Dead Media Project“, so nannte er sein Vorhaben, leider selbst schon lange „tot“. Die letzten Eintragungen sind elf Jahre alt. Die Idee allerdings, unsere immer schneller werdende Geräteevolution einmal in umgekehrter Richtung abzuschreiten und quasi „ausgestorbenen“ Geräten nachzuspüren, ist hochaktuell. Unter dem Oberbegriff „Medienarchäologie“ wurde sie zum Beispiel auf dem diesjährigen transmediale Festival in Berlin gerade in vielfältiger Art und Weise durchdekliniert.

Noch spannender wird das alles, wenn solche Maschinen tatsächlich wieder zum Leben erwachen. In einer  Galerie im Berliner Aufbau Haus am Moritzplatz steht ein fast zwei Tonnen schweres, sieben Meter langes und vier Meter hohes Ungetüm. Die Maschine gilt als größte Selbstporträtkamera der Welt, erfunden Anfang der 70er Jahre von einem Münchner Physiker namens Werner Kraus. Für die Forschungsabteilung von Daimler Benz hatte Kraus ein Spiegelobjektiv entwickelt, mit denen man die Abgaswolken von Wankelmotoren schnell, verzerrungsfrei und im Maßstab 1:1 fotografieren konnte, um die Effizienz der Motoren zu prüfen. Zusammen mit einem befreundeten Künstler bastelte er daraus einen Kameramonstrum namens Imago 1:1.

Von 1972 bis 1979 stand die Riesenkamera in einem Schwabinger Atelier und schuf fantastische Porträts, lebensgroße Abbilder mit spektakulärer Ästhetik. Dabei funktionierte das Gerät wie ein gigantischer Fotofix-Automat. Auslöser drücken, 10 Minuten warten und die Maschine spuckte ein zwei Meter großes Bild aus. Frisch belichtet auf sogenanntes Umkehrpapier, ein Unikat ohne Negativ.

Doch Anfang der 80er war dann plötzlich Schluss. Agfa stellte die Produktion von Repropapier ein und die Imago wurde funktionsuntüchtig in einem Münchner Keller eingemottet: ein Kandidat für Sterlings Dead Media Liste.

Bis, nach über 25 Jahren, Susanna Kraus sich entschloss, die Erfindung des Vaters aus ihrem Dornröschenschlaf zu holen und die Kamera wieder flott zu machen. Anfangs mit erheblichen Schwierigkeiten, denn das Papier war nirgendwo aufzutreiben. Agfa hatte schlicht die Rezeptur für die Herstellung des Spezialpapiers verschlampt. Erfolg hatte sie schließlich beim Konkurrenten Ilford. „Das ganze war nur möglich, weil sich ein paar Menschen über bestimmte Direktiven hinweggesetzt haben“, erzählt Kraus. Heimlich und auf eigene Kosten erfand ein kleines Team von Ilford-Chemikern aus der Schweiz das Repropapier quasi zum zweiten Mal. „Obwohl das aus ökonomischer Sicht vollkommen abstrus war – ich glaube, die Herren haben einfach gespürt, dass es hier um etwas ganz Besonderes geht. Um die Wiedergeburt eines faszinierenden Apparats.“

Seit 2006 macht die Imago wieder Bilder, wurde auf Ausstellungen präsentiert und landete schließlich, 2011, am Berliner Moritzplatz. Gerade plant Kraus den Bau einer zweiten Version der Kamera, aus leichtem  Aluminium, ausgestattet mit dem Ersatzobjektiv der Ur-Imago. Finanziert wird das Projekt über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter. „Die Originalkamera ist einfach zu schwer und empfindlich für all die Anfragen, die wir mittlerweile haben“, erklärt Kraus. Im März war, noch das schwere Ur-Modell, die Kamera auf der CeBIT in Hannover zu sehen.

Klettert man zum Porträt ins Innere des U-Boot-artigen Riesengeräts steht man vor einem seitenrichtigen Spiegel, sieht sich also genau so, wie ein Fotograf einen durch den Sucher seiner Kamera wahrnimmt. Nur dass eben keiner da ist, man vielmehr selbst, mit einem Selbstauslöser in der Hand, in die Rolle des Portraitierenden schlüpft. „Es ist so, als ob man in einen Dialog mit sich selbst als Fremden tritt“, erklärt Kraus. Eine Feedbackschleife zur Ich-Erkenntnis.

Genau dieses inszenatorische Potenzial ist es, das Kraus an der Arbeit mit der Imago reizt. Oftmals greift sie auch direkt in den Prozess der Bildfindung ein, etwa wenn es darum geht, in einer „Session“ Bilder aufeinander reagieren zu lassen. „Das ist dann wie eine Improvisation im Theater“. Als der Künstler Jonathan Meese vor einiger Zeit in der Imago stand, vergaß er bei einer Doppelbelichtung das Selbstauslöserkabel aus der Hand zu nehmen. „Das weiße Kabel sah aus wie eine Nabelschnur. Wir entwickelten den Gedanken weiter und am Ende kam ein fantastisches Bild dabei heraus. Ein multipler Meese im Bauch der Mama Imago.“

Aber auch für den „Normalkunden“ ist die Kamera ein Ereignis. Viele bereiten sich auf ein Porträt vor wie auf eine Bühnenperformance, erzählt Kraus. „Die ganze Situation in der Kammer erzeugt einfach eine enorme Intensität.“ Noch dazu kommt: Ein Bild kostet um die 300 Euro. „Es ist dann immer wieder erstaunlich, wie still es wird, wenn Kunden ihr fertiges Imago-Porträt betrachten.“ Es sei die Besonderheit des eigenen Blickes, der so irritiert und fasziniert. „So würde man einen Fotografen nie anschauen.“

Trotz aller Besonderheiten ihrer fotografischen Riesenmaschine, über eines ist sich Susanna Kraus bewusst: Die Zeit musste reif sein für die Wiedererweckung der Imago. „In den 90ern herrschte so ein Run auf digitale Fotografie, da hätte niemanden gefunden, der mich unterstützt.“ Dann kam, vor allem mit dem Comeback von Polaroid vor zwei Jahren, eine schon länger spürbare Retro-Welle in der Fotografie ins Rollen. Nachdem 2008 bekannt wurde, dass der berühmte Polaroidfilm nicht mehr hergestellt würde, schaffte es ein kleines Team ehemaliger Mitarbeiter, die Produktion erfolgreich zu reaktivieren. Und selbst die alten Schwarzweiß-Fotoautomaten, neben Imago und Polaroid eine weitere ehemals weit verbreitete Unikat-Fotografie, scheint den Sprung zurück auf die Straße geschafft zu haben. Allein in Berlin haben Automaten-Enthusiasten schon wieder zwölf der alten Geräte aufgestellt.

Nur wenig Meter von Kraus Atelier steht genau ein solches auf der Straße. Das ist kein Zufall. „Wir kennen uns“, schmunzelt Kraus. Und bemerkt nicht ohne Stolz: „Ich glaube schon, dass ich mit meinem Engagement etwas angestoßen habe.“ Auch die Spezialfilme für Polariodkameras und Fotoautomaten werden von der Firma Ilford geliefert.

Im Grunde, so wird am Ende klar, ist hier vielleicht viel mehr wieder zum Leben erweckt worden, als nur eine verrückte Erfindung aus den 70ern. „Manchmal“, sagt Susanna Kraus, „fühle ich mich fast wie die Retterin der analogen Fotografie.“

Langversion eines dann gekürzten Textes für die Wochenend-Rubrik der SZ.

 

Nur wenig Meter von Kraus Atelier steht genau ein solches auf der Straße. Das ist kein Zufall. „Wir kennen uns“, schmunzelt Kraus. Und bemerkt nicht ohne Stolz: „Ich glaube schon, dass ich mit meinem Engagement etwas angestoßen habe.“ Auch die Spezialfilme für Polariodkameras und Fotoautomaten werden von der Firma Ilford geliefert. 

Im Grunde, so wird am Ende klar, ist hier vielleicht viel mehr wieder zum Leben erweckt worden, als nur eine verrückte Erfindung aus den 70ern. „Manchmal“, sagt Susanna Kraus, „fühle ich mich fast wie die Retterin der analogen Fotografie.“