Klimawechsel

28.11.2005

Über Heizpilze

Kultur hat, man vergisst es immer wieder, im Grunde genauso viel mit Schraubendrehen und Nägel-in-Wände-Schlagen zu tun, wie mit dem durchgeistigten Blättern in dünnblättrigen Gesamtausgaben. Schließlich musste man zunächst mal die Natur, sprich vor allem unangenehme Tiere und garstige Wetterschwankungen einigermaßen in den Griff kriegen, um überhaupt auf die Idee zu kommen, sich mit Malen, Musizieren oder Geschichtenerfinden zu beschäftigen.

So gesehen fußt feingeistiger Zeitvertreib auf technischer Natur-Bewältigungs-Raffinesse, weshalb es an dieser Stelle angebracht wäre, eine aktuelle und noch viel zu wenig beachtete dieser Strategien genauer unter die Lupe zu nehmen.

Zu reden ist von der Verlängerung des Sommers, oder anders, von der Urbarmachung des Winters durch jene 2,30 m hohen, pilzförmigen Heizstrahler, vulgo Heizpilze, Heizpalmen oder Gastrosonnen genannt, die mittlerweile ganze Innenstädte in beheizte Frischluftzonen zu verwandeln scheinen. Unter den schützenden Wärmeblasen der gasbetriebenen Pilze entsteht die neue Kultur des städtischen Outdoor-Gastes. Eingepackt in Skijacken werden da Pastas gekaut, Thaisuppen ausgelöffelt oder Ingwer-Tees geschlürft. Von oben strahlt die Gastrosonne inmitten frostigster Frischluft. Mittlerweile sind diese Heizpilze nicht mehr nur bei Restaurants, sondern vermehrt auch bei Sportvereinen beliebt. Bei einem Football-Event in Hamburg werden die leichtbekleideten Cheerleader demnächst von Schulz-Heizpilzen warmgehalten. Auch die Hertha-Trainerbank soll schon bald von Heizstrahlern flankiert werden.

Die Kultivierung des tristen deutschen Winters durch mobile Wärmeinseln in Ehren: Ist das nicht eigentlich alles eine riesen Umweltsauerei? Interessanterweise scheint es einschlägige Studien hierzu noch nicht zu geben. Und so ist man selbst unter Experten ein wenig ratlos. Natürlich sei es „Irrsinn“, sich im Winter draußen unter Wärmeglocken zu suhlen, befindet Jan Haase von Greenpeace Energy. Andererseits sei das Betreiben mit Gas gegenüber elektrischen Heizrippen ein Umweltplus. Abgesehen davon, dass das verwendete Propangas sogar rückstandslos verbrennt.

Weltweit führend in der Produktion von Heizpilzen sind übrigens weder die Ressourcen-ignoranten USA, noch die kältegeplagten und technisch innovativen Länder Skandinaviens. Ganz vorne beim Verkauf und der Entwicklung der Alu-Pilze sind, Überraschung, die Italiener. Neulich, auf einer Messe, war da dieses italienische Spitzenprodukt ausgestellt: Ein Metallpilz, der statt wärmender Luft einen kühlen Wassernebel erzeugt, welcher sich als linderndes Nieseln auf hitzegeplagte Menschen herabsenkt. – Vielleicht hat ja alles als Kühlpalme begonnen, hitzelindernd postiert entlang heißer Mittelmeerküsten oder sengender Straßen in Neapel.

Erschienen in Süddeutsche Zeitung am 28. November 2005.