Zauberzeitungen und magische Magazine

1.08.2014

Auf ihren Displays können Smartphones und Tablets klassische Zeitungen und Magazine in Multimedia-Erlebnisse verwandeln. Augmented Reality heißt die Technik. Ihr journalistisches Potenzial wird derzeit ausgelotet.

Wussten Sie schon, dass Ihr Kiosk um die Ecke Zauberzeitungen und magische Magazine im Angebot hat? Gedruckte Objekte aus Papier – auf den ersten Blick jedenfalls – zwischen deren Seiten jedoch geheimnisvolle Kräfte schlummern. Oder wie würden Sie es nennen, wenn Bilder plötzlich beginnen, sich zu bewegen, Zeichnungen zu Objekten werden, die aus dem Papier herauswachsen und Grafiken sich in Skulpturen verwandeln, um die man herumgehen kann wie um ein modernes Kunstwerk?

Die Online-Video-Botschaft des Chefredakteurs der Tageszeitung Die Welt, Jan-Eric Peters, vom September 2013 hat tatsächlich etwas von einer Zaubershow für staunende Leser. Im Clip, abrufbar auf der Website des Axel-Springer-Verlags, startet Peters eine Smartphone-App und schwenkt das Gerät über die aktuelle Ausgabe der Welt. Auf dem Display sind dann die Zeitungsseiten zu erkennen – aber eben auch noch eine ganze Menge mehr: Das Titelbild verwandelt sich in ein Video, eine Grafik des künftigen Berliner Schlosses erhebt sich als scheinbar dreidimensionales Modell aus der Mitte eines Artikels und die Infografik zu den größten Wirtschaftsmächten der Welt springt einem förmlich in 3-D entgegen. Diesen Zauber, so endet Peters stolz, werde man ab sofort in jeder Ausgabe der Welt erleben können.

Start in die Zukunft

Interessanterweise ist die Anreicherung von Gedrucktem durch Digitales, so enthusiastisch sie der Welt-Chefredakteur auch als „Start in die Zukunft“ anpreist, gar nicht so neu. Augmented Reality (AR), so der Fachbegriff, ist für Verlage schon seit einigen Jahren ein Thema. 2010 experimentierte das Magazin der Süddeutschen Zeitung (SZ) mit AR-Effekten. Auf dem Cover war eine Frau abgebildet, die sich die Hände vor das Gesicht hielt. Erst beim Blick durch die Smartphone-Kamera gab sie sich als die Fernsehjournalistin Sandra Maischberger zu erkennen. Ein Jahr später setzte das Magazin Stern Augmented Reality in einer Sonderausgabe zur Internationalen Funkausstellung Berlin ein – sowohl im redaktionellen als auch im Anzeigenteil des Magazins.

In beiden Fällen blieb das Experiment allerdings auf Einzelausgaben beschränkt. „Aktuell ist Augmented Reality kein Thema für uns“, sagt Angela Kesselring, Leiterin der Abteilung Publishing beim SZ-Magazin. Der produktionstechnische Mehraufwand, so Kesselring, mache eine regelmäßige Nutzung im Augenblick eher unwahrscheinlich. Auch der Stern scheiterte, trotz überaus positiver Rückmeldung, an technischen Schwierigkeiten. „Für eine wochenaktuelle Produktion eignete sich das nicht“, erklärte der verantwortliche Redakteur Werner Hinzpeter gegenüber dem Magazin Menschen Machen Medien der Gewerkschaft Verdi.

Augemented Reality als Marketinginstrument

Auf der Höhe der Zeit sind AR-Angebote dann, wenn die Inhalte sich möglichst nahtlos in die originäre Print-Umgebung einfügen, erklärt Anett Gläsel-Maslov vom Münchner AR-Anbieter Metaio, der auch die Sonderausgabe des SZ-Magazins technisch umgesetzt hat. Das Angebot der Welt hält sie, zumindest was die technologische Umsetzung angeht, für ausgereift.

Ob dies allerdings auch vom Leser so empfunden wird, steht auf einem anderen Blatt. „Was die Möglichkeiten der Nutzung von Augmented Reality-Angeboten angeht, ist die Bilanz, wenn man ehrlich ist, im Augenblick noch ernüchternd“, so Stefan Heijnk, Professor für Print- und Online-Journalismus an der Hochschule Hannover. Für Heijnk sind AR-Anwendungen im Augenblick vor allem Marketinginstrumente. „Es geht in der Mehrzahl der Fälle noch um das temporäre Erzeugen von Aufmerksamkeit.“ Für eine längerfristige Einbindung auf qualitativ hohem Niveau, also eine technische Lösung, die Inhalte ermöglicht, die vom Leser tatsächlich als Mehrwert empfunden werden, fehlen noch die Standards.

Das größte Potenzial für Augmented Reality im Printbereich sieht Heijnk zurzeit darin, gedruckte Zeitungen und Magazine für all diejenigen interessant zu machen, die eigentlich nur noch online lesen. Oder die vielleicht gerade erst ins potenzielle Zeitungsleseralter hineinwachsen: „Auf den Kinderseiten könnten AR-Elemente einen wirklichen Mehrwert generieren, sowohl was die Bindung an das gedruckte Blatt als auch an die Marke insgesamt angeht.“

Erschienen auf www.goethe.de im August 2014

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August 2014