Michael Hamburgers und Johannes Bobrowskis Briefwechsel
In Berlin, der ehemals geteilten Stadt, gibt es vieles doppelt. Zwei Stadtzentren, zwei Staatsbibliotheken, zwei Opernhäuser. Manchmal gewinnt man sogar den Eindruck, die konstruierte Geteiltheit der Metropole findet selbst in der Topografie der Umgebung ihren Ausdruck: Am nördlichen Rand der Stadt, jeweils exakt gleichweit vom Zentrum entfernt, liegen die beiden großen Badeseen Berlins, Wann- und Müggelsee. Der eine nach wie vor Erholungsgewässer nur für die Wessis, der andere fast ausschließlich für die Ossis.
„Hier wohne ich – am Ufer, schaue nach Osten in die gemordete Zeit“ schreibt der Lyriker und Übersetzer Michael Hamburger 1964 an seinen Freund, den DDR-Dichter Johannes Bobrowski. Und weiter: „Und doch, hier stehn wir zusammen, das Wasser ruht, unsere Blicke treffen es, ruhen sich aus, auf keiner Seite der Stadt, in wieder lebender Zeit.“
Es ist ein Blickwechsel zwischen den beiden Berliner Seen, von dem Michael Hamburger hier schreibt. Von Kladow am Ufer des Wannsees, von wo er 1933 mit seinen jüdischen Eltern nach England fliehen musste, nach Osten, Richtung Friedrichshagen am Müggelsee, dem Domizil seines Freundes Johannes Bobrowski. Und es ist eines der stärksten und gleichsam melancholischsten Passagen eines anrührenden Briefwechsels zwischen beiden Literaten, die jetzt in der Marbacher Bibliothek, von Jochen Meyer herausgegeben, erschienen ist. Denn nur ein Jahr später, im Oktober 1965, war Bobrowski bereits tot, 48 Jahre jung, von einer profanen Blinddarmentzndung dahingerafft. Nur zwei Mal konnte Hamburger ihn am Müggelsee besuchen.
46 Briefe, von 1963 an, hatten sich die Männer geschrieben. Bobrowski, der Shooting-Star der ostdeutschen Lyrik, der mit seinem Gedichtband „Sarkastische Zeit“ (1962) Furore machte, und Hamburger, sein Bewunderer und Übersetzer. Überraschend und interessant zu lesen ist es, wie entspannt die Dichter über ihre Kunst berichten, die, wenn man den Brieffreunden glaubt, ein Job wie jeder andere sein kann. So träumt sich Hamburger auf nicht-literarischen Spaziergänge in einen Zustand naiver Pseudo-Mystik, in dem das Wesen des Ortes in der Luft enthalten wäre. Ach hätte man nur mal Ferien vom Dichten!
Dabei geht es im Grunde, wie bei den meisten Männerfreundschaften, auch den beiden Lyrikern nicht nur um sachlichen Austausch, sondern ebenso um emotionale Verbundenheit. „… und ich werde gleich ein bisschen zaubern, das, was eigentlich nur die alten Weiberchen können: damit bei Ihnen besseres Wetter wird“, schreibt Bobrowski in rührender Sentimentalität an seinen Freund.
Dass sich sachlicher Austausch und tiefe Emotionalität gegen Ende doch wieder auf überraschende Weise zusammenfügen, ist auch dem aufschlussreichen Nachwort von Ingo Schulze zu verdanken: Eine gemeinsam geteilte Erkenntnis verbinde die Dichter wie ein unterirdischer Strom. „Nicht das eigene Dichten, sondern die Lyrik überhaupt zählt. Seit langem denke ich bei jedem Gedicht, es könnte das letzte sein, und ich denke es ohne jeden Schmerz“, schreibt Johannes Bobrowski.
Erschienen in Süddeutsche Zeitung am 26. Juli 2005.