Deutschland.de – Neue Erzählformen finden

13.07.2018

Wie geht Deutschland mit seiner Vergangenheit um? Internationale Besucher auf den Spuren der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Gebäude und Räume haben eine Aura, die ihre Geschichte widerspiegelt – davon ist Mirza Mešković überzeugt. Der junge Mann aus Bosnien ist Gründungsmitglied und stellvertretender Direktor des Genozid-Museums in Sarajewo, einer kleinen, privat finanzierten Einrichtung, die über die Gräuel des jugoslawischen Bürgerkriegs informiert. „Oft kommen Besucher zu mir und sagen, sie seien sich sicher, dass in diesem oder jenem Raum des Museums etwas Schlimmes passiert ist.“ Bestätigen kann er das nicht, ausschließen aber natürlich auch nicht. „Vielleicht ist es auch nur die Wucht der Exponate, die in den Raum zurückstrahlt.“

Im Augenblick steht Mešković selbst inmitten einer Ausstellung mit beklemmender Wirkung und lässt die Räume auf sich wirken. Im Rahmen des Besucherprogramms der Bundesrepublik Deutschland reisten er und 15 weitere internationale Teilnehmer nach Berlin und Dresden. Thema der Reise war der Umgang Deutschlands mit seiner Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ein Programmpunkt: der Besuch der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheitin Berlin-Lichtenberg, die in Teilen zum Museum umgebaut wurde. Der junge Museumsleiter aus Sarajewo ist beeindruckt: „Man bekommt Zugang zu einer Vielzahl sehr gut aufbereiteter Exponate. Gleichzeitig befindet man sich am Ort des Geschehens und bekommt etwas mit von der Atmosphäre und dem Geist des zentralen Machtapparats einer Diktatur.

Der Machtapparat der DDR, auch das wird den Besuchern der Ausstellung klar, war sehr darauf bedacht, ein bestimmtes Narrativ – nämlich das der Überlegenheit des sozialistischen Regimes – in der Bevölkerung zu verankern. Wie stark bestimmte Erzählformen auch heute noch überall auf der Welt wirken und wie lohnenswert es sein kann, sie durch einen neuen, vielfältigen Blick aufzulösen, war Thema einer Diskussion mit Christiane Brandau, die für das Georg-Eckert-Institut zu Schulbüchern forscht.

Gemeinsames Lehrbuch für Deutschland und Polen

Schulbücher, besonders für das Fach Geschichte, seien zentral für die Ausbildung einer bestimmten nationalen Identität, berichtete Brandau. Doch das Wissen über bestimmte Ereignisse werde von Land zu Land oft ganz unterschiedlich dargestellt. Für Deutschland und Polen hat ihr Institut ein gemeinsames Geschichtsbuch für den Unterricht entwickelt, das unter anderem genau diese Unterschiede sichtbar machen soll. „Würden Sie Menschen in Deutschland zum Beispiel nach der Schlacht bei Tannenberg fragen, wüsste so gut wie niemand etwas damit anzufangen.“ Für Polen allerdings gelte die Schlacht Anfang des 15. Jahrhunderts, dort bekannt als Schlacht bei Grunwald, als zentrales, identitätsstiftendes Ereignis: Damals, so das Narrativ, wurde ein entscheidender Sieg über den Erzrivalen Deutschland errungen. „Eine Geschichte, die in Polen buchstäblich jedes Kind kennt.“

Den Journalisten Samuel Kayode aus Nigeria erinnerte das an ein besonders extremes Beispiel aus Südafrika. „Dort wurde bis in die frühen 1990er-Jahre in Schulen gelehrt, dass Weiße und Schwarze das Land gleichzeitig besiedelten – es also im Grunde falsch wäre, von so etwas wie Apartheid zu sprechen.“

Um Afrika, genauer gesagt um die gemeinsame Geschichte Deutschlands mit dem Kontinent, ging es beim Gespräch mit Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Gründungsintendant des Humboldt-Forums, sowie weiteren Teilnehmern im neu errichteten Berliner Stadtschloss. Das als kulturelle Begegnungsstätte konzipierte Forum war in jüngster Zeit wegen der geplanten Ausstellung von Exponaten aus dem Fundus ethnologischer Museen in die Kritik geraten. Wer solche Stücke mit häufig ungeklärter kolonialer Herkunft präsentierte, müsse auch seine koloniale Vergangenheit konsequenter aufarbeiten als dies in Deutschland geschehe, so die Kritiker. Noch immer, betonte Mnyaka Sururu Mboro von der Nichtregierungsorganisation Berlin Postkolonial gebe es beispielsweise keine offizielle Entschuldigung für die Verbrechen Deutschlands in der früheren Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia.

Generell zeigten sich beide Parteien in der Diskussion aber versöhnlich im gemeinsamen Anliegen, die Kolonialgeschichte Deutschlands transparenter zu machen und das Potenzial des Forums zur Völkerverständigung zu nutzen. „Unser Ziel ist es, mit den Herkunftsländern in einen Dialog zu treten über die gemeinsame, bisweilen problematische Geschichte, aber auch die Chance zu ergreifen, an neuen Narrativen zu arbeiten“, so Parzinger.

Erschienen am 13.7.2018 auf www.deutschland.de, dem Infoportal des Auswärtigen Amtes.