Es gibt sie mittlerweile überall. Auf fast allen Kontinenten, in Metropolen oder buchstäblich am Ende der Welt. Kunst-Biennalen sind Stadtmarketing-Großprojekte, gigantische Showrooms für Gegenwartskunst und gesellschaftliche Seismografen
Der 27. Oktober 2012 könnte ein interessantes Datum sein für die internationale Kunstszene. An diesem Tag startet im Rahmen der Gwangju-Biennale in Südkorea das erste World Biennial Forum. Dort wird ein Ausstellungskonzept diskutiert, von dem Experten schon seit Jahren sagen, es hätte die Wahrnehmung von Gegenwartskunst, ja von der Gegenwart selbst, geprägt wie kein anderes: die Kunst-Biennale.
Gerade im asiatischen Raum erfreuen sich die Großausstellungen, die in der Regel im Zweijahresrhythmus und gebunden an eine bestimmte Stadt oder Region stattfinden, einer immer größeren Beliebtheit. Und so soll es im Forum auch darum gehen, die Bedeutung dieser Verschiebung nach Asien zu klären. Shifting Gravity heißt der programmatische Titel der Zusammenkunft.
Anbindung der Peripherie
Die konsequente Globalisierung der Szene Gegenwartskunst ist ein relativ junges Phänomen und eng mit dem Boom der Kunst-Biennalen verknüpft, wie man ihn seit den 1990er-Jahren beobachten kann. Etwa 150 konzeptionell ähnliche Großausstellungen verzeichnet die Biennial Foundation, ein internationaler Interessenverband, aktuell weltweit. Das Institut für Auslandsbeziehung (ifa) kommt sogar noch auf eine höhere Zahl und listet in seiner Online-Datenbank knapp 200 Festivals im Biennale-Format.
Viele Metropolen, aber auch kleinere Städte, fanden über das Festival-Konzept Biennale Anschluss an den internationalen Diskurs und konnten gleichzeitig ihre eigene lokale und oftmals völlig unbekannte Szene bekannt machen. So beispielsweise die 1987 in Istanbul gegründete Biennale: In nur zehn Jahren entstand aus einer Kunstszene, die auch im eigenen Land nur wenig beachtet wurde, eine der lebendigsten Kunstszenen in Europa.
Die Havanna-Biennale, die 1984 auf Kuba startete, war nicht nur die erste Großausstellung für moderne Kunst, die in einem Entwicklungsland stattfand, sondern auch der Beginn einer bis heute andauernden „Strategie, bislang wenig beachtete Szenen als Teil des globalen Kunstdiskurses zu sehen“, wie der Kunsttheoretiker Rafal Niemojewski im 2009 erschienen Biennial Reader schreibt, einer umfangreichen Textsammlung zum Phänomen Biennale, die im Rahmen eines Kongresses der Kunsthalle Bergen entstanden ist.
Exporthilfe für deutsche Kunst
Aber auch die wahrlich nicht unter Strukturschwäche leidende Kunstszene in Deutschland hat in der Vergangenheit stark von Kunst-Biennalen profitiert. Nicht zuletzt von der immer noch einzigen großen Biennale im eigenen Land, der 1998 gegründeten Berlin-Biennale für zeitgenössische Kunst. „Ich denke, rückblickend auf Berlin kann man sagen, dass wir mit unserer ersten Berlin-Biennale von 1998, von der ja Teile unter dem Label ‚Children of Berlin‘ direkt im Anschluss am MoMA PS1 in New York gezeigt wurden, dazu beigetragen haben, einer ganzen Generation Berliner Künstlerinnen und Künstler wie John Bock, Monica Bonvicini oder Olafur Eliasson zur internationalen Wahrnehmung zu verhelfen“, so Gabriele Horn, Direktorin der Berlin-Biennale.
„Biennalisierung“ und „Biennale-Kunst“
Interessanterweise wurzelt auch die Geschichte des Biennale-Formats selbst weniger in der Idee der Strukturhilfe schwacher Regionen, als im Konzept einer Art Kunst-Leistungsschau quasi olympischer Ausprägung. Denn genau dies war der Ansatz der ersten 1895 gegründeten „Biennale di Venezia“, wie er in der Aufteilung nach Länderpavillons bis heute weiterbesteht. Übrigens mit dem schon damals klar formulierten Ziel, den Tourismus in der Lagunenstadt anzukurbeln.
Den Vorwurf des Stadtmarketings mit anderen Mitteln sind die Kunst-Biennalen bis heute nicht ganz losgeworden. Mit Schlagworten wie „Biennialisierung“ und „Biennalen-Kunst“ beklagen Kritiker eine drohende Transformation zum Kulturevent für ein gutsituiertes Bildungsbürgertum, das „kulturelle Differenzen konsumiert, als ob es ein kulinarisches Gericht wäre“, so Kurator Jan Verwoert in seinem Beitrag zum Biennial Reader.
Trotzdem würde niemand so weit gehen, das Konzept grundsätzlich in Frage zu stellen. Im Gegenteil. „Ich kann mit der pauschalen Kritik an einer sogenannten Biennalisierung eigentlich gar nicht so viel anfangen“, sagt beispielsweise Gabriele Horn von der Berlin-Biennale. „Wenn man die Art und Weise beobachtet, wie viele Museen durch Ökonomisierungsauflagen gezwungenermaßen immer professionalisierter und wirtschaftlich messbar geworden sind, dann finde ich das Konzept Biennale als Ausgleich und Gegengewicht wichtiger denn je“, so Horn.
Stärkung der Institution Museum
Ein Gegengewicht, das sogar bedeuten könnte, die Institution Museum, gegen die man traditionell angetreten war um ein träges, auf das Bewahren von Kunst getrimmtes Konzept aufzubrechen, am Ende gar selbst wieder ins Spiel zu bringen. Genau so jedenfalls möchte Roger M. Buergel, der Kurator der diesjährigen Busan-Biennale in Südkorea, sein kuratorisches Konzept eines Garden of Learning, in welchem Künstler mit Bürgern vor Ort arbeiten, auch verstanden wissen: „Garden of Learning, der Hauptteil der Biennale, wird aussehen wie eine klassische Museumsausstellung: eine Geste, mit der wir die Wichtigkeit öffentlicher Institutionen im Spannungsfeld von Ökonomie und Politik betonen möchten“. Auch darüber dürfte es beim World Biennial Forum noch interessante Diskussionen geben.
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Oktober 2012
Erschienen auf www.goethe.de im Oktober 2012.