Die Tortur der Bits

17.06.2005

Der Datenklau geht weiter: Hase und Igel im Internet

Computer rechnen immer schneller und können immer mehr speichern. Handys organisieren unseren Alltag und, ja doch, man kann immer noch mit ihnen telefonieren. Riesige Plasma-Screens verschandeln den öffentlichen Raum wie giftige Pilze den Waldboden. Überall funkt es eigenmächtig, zeigt rasend schnelle Bilder und spuckt überflüssige Töne – allerorten. Was könnte man nicht alles mit diesen Geräten anstellen! Statt dessen: bekloppte Klingelton-Frösche, seichte Charthits und überflüssige Werbung. Man kann das Geflimmer-Gewimmer nur erdulden. Es sei denn, man weiß, den blühenden Gerätepark intelligent für sich zu nutzen.

Es gibt eine wachsende Spezies von zumeist jugendlichen Technik-Avantgardisten, die der Jargon bereits als die „early Adapters“ bezeichnet. Sie kennen sich aus und wissen jetzt schon, was morgen erst gespielt wird. Sie haben, so sagt man, den Wechsel vom Consumer zum Prosumer vollzogen und jonglieren souverän mit allen digitalisierbaren Inhalten, ganz gleich, ob es sich um neue PopAlben, HollywoodBlockbuster oder TVSerien handelt. Was sich in Bits umwandeln lässt, wird heruntergeladen, manipuliert und wiederum anderen Interessierten angeboten.

Eine aktuelle Umfrage des US Forschungsinstituts TechnoMetrica zum Radiohörverhalten amerikanischer Jugendlicher etwa ergab: Jeder dritte Jugendliche zwischen 18 und 24 Jahren nutzt heute das Internet und nicht mehr das Radio, um Musik zu hören. Denn im Unterschied zum oft als eintönig empfundenen Angebot klassischer Sendeanstalten finden Musikinteressierte im Web eine riesige Auswahl auf die verschiedensten Sparten spezialisierte Angebote, die rund um die Uhr senden. Professionelle Anbieter finden sich darunter. Aber gerade auch solche, die eigene, experimentelle Produktionen im Stil von Piratenradios ins Netz strömen lassen. Der iPod, inzwischen auch das beliebteste Abspielgerät für solche Hörfunkperlen, hat dieser Praxis schon einen Namen geliehen: Podcasting nennt man den Sendereigenbau per Player.

Im Datensturzbach

Die Verfahren zur Suche nach neuen Inhalten werden immer raffinierter. Wer die neuesten Hollywoodblockbuster sehen möchte oder auf die nächste Staffel seiner Lieblingsserie hinfiebert, muss heute heute nicht mehr auf Kinostart, DVD Veröffentlichung oder TV Premiere warten. Auch hier liefert das Netz die begehrten Inhalte. So macht gerade ein neues Verfahren von sich reden, das sich „BitTorrent“, zu deutsch Datensturzbach nennt. Klickt man einen als torrent ­Datei angebotenen Blockbuster wie Sin City an, sammelt ein auf dem eigenen Rechner installiertes Programm Teile des angewählten Films von anderen Nutzerrechnern ein, die im Augenblick dabei sind, genau diesen Film herunterzuladen. Man lädt die Ladung. So kommt es zum wundersamen Effekt, dass sich der Bruce Willis Thriller umso schneller herunterlädt, je mehr User im selben Augenblick darauf zugreifen. Riesige Datenmengen, wie etwa die komplette, gerade erst angelaufene Spielberg-Serie „Taken“, werden so gleichzeitig bewegt und problemlos von unzähligen Nutzern en bloc gespeichert.

Dass die meisten der auf Torrentseiten wie Pirate Bay angebotenen Filme illegal dort hingelangt sind und auch illegal kopiert werden, scheint die Mehrzahl der User nicht zu stören. Zu Hochzeiten macht die Taucherei in diesem Datenmeer schon jetzt ein Drittel des gesamten Internetverkehrs aus, wie der britische Webdienstleister Cache Logic berichtet. Die meisten Kopisten fühlen sich sicher, schließlich sind an dieser Datenschieberei ja Tausende von Usern gleichzeitig beteiligt. Und die Copyrightklagen verfangen sich im dezentralen Tauschnetz der Konsumenten.

Die Vertreter der Entertainmentindustrie wie die amerikanische RIAA ( Recording Industry Association of America) und MPAA (Motion Picture Association of America) kämpfen erbittert gegen den Datensturzbach. Im Mai etwa wurde die Website www.elitetorrents.org von den US-Behörden geschlossen. Vor blutrotem Hintergrund prangt dort seither das Banner der US-Homeland-Security. Der Erfolg solcher Abschreckungsmaßnahmen ist jedoch zweifelhaft. Wie man aus der Geschichte der Musiktauschbörsen weiß: Die Gegenwehr der Industrie kommt meistens zu spät.

Seit die erste Tauschbörse Napster 1999 ins Netz ging, liefert sich die Entertainmentindustrie ein furioses Hase-und-Igel-Rennen mit den kopierfreudigen Konsumenten. Als der Dienst 2001 auf gerichtlichen Druck hin damit begann, nur noch legale Inhalte anzubieten, standen schon bereits mehrere alternative Tauschmaschinen mit noch mehr illegalen Inhalten zur Verfügung. Gnutella und Kazaa, sogenannte Peer-to-PeerNetzwerke wuchsen nach, die, anders als Napster, ohne einen angreifbaren, zentralen Server auskamen, der die Tauschgeschäfte managte. Das machte es schwerer, den Datenklau eindeutig mit einem Nutzer zu identifizieren. Der Hase hechelte wieder einmal hinterher.

Doch das neueste BitTorrent ist nicht nur Teufelswerk. So besteht ja auch die Möglichkeit, eigene Videoproduktionen im BitTorrent-Netz zu veröffentlichen. Und die wird genutzt. Netzexperten wie Mario Sixtus raunen bereits vom Ende des Fernsehens als Broadcasting-Medium. Auf dem Menü der Flimmerkiste von morgen könnten die Werke von Amateur und Hobby Videoproduzenten direkt neben Spielfilmen aus dem Kabel und Serien aus dem Netz liegen.

Das ist durchaus attraktiv. Denn digitalisiert gespeicherte Fernsehbilder lassen sich leicht manipulieren. Mit der OpenSource Software mythTV lassen sich etwa lästige Reklameblöcke mühelos löschen noch bevor man sie anschauen musste. Ein Trick, der den so genannt PVRs, den Festplattenrekordern, abgeschaut ist, die mit ihrer skip commercial ­Funktion gerade das werbefinanzierte Privatfernsehen in Angst und Schrecken versetzen. Die ungleiche Jagd geht also weiter.

Erschienen in Süddeutsche Zeitung am 17. Juni 2005.