Ein Wald im Frühing, eine Straße im Regen, ein Sommertag am See: Der Künstler und Erfinder Wolfgang Georgsdorf hat den Prototypen einer Geruchsmaschine gebaut
Dem Internet-Konzern Google traut man vieles zu, warum also nicht das: Schon sehr bald sei es möglich, so erfuhr man auf der Website des Unternehmens, Düfte direkt an den Displays unserer Computer zu erschnüffeln. Man habe hierzu Millionen von Gerüchen digitalisiert und könne diese direkt vor den Nasen der Nutzer nachbilden – mittels manipulierter Luftmoleküle. Das war im Frühjahr 2013.
Im Winter 2014 sitzt der Künstler und Erfinder Wolfgang Georgsdorf in einem Kreuzberger Restaurant und rollt einen Konstruktionsplan aus. Man erkennt den Querschnitt eines großen Industriegebäudes. Mit dem Finger fährt er eine Art riesige Blase ab, die in eine Halle eingepasst ist. „Google Nose war ein gelungener Aprilscherz“, sagt Georgsdorf. „Die Manipulation von Luftmolekülen, das ist natürlich pure Science-Fiction.“ Das was man auf der Skizze hier sehen könne allerdings, das sei ganz und gar kein Scherz. „Wir können heute schon Geräte bauen, die uns Gerüche in einer Art und Weise wahrnehmen lassen, wie wir es vor kurzem nicht für möglich gehalten haben.“
Eine riesige Apparatur, 200 000 Euro teuer, hochkomplex
Georgsdorf hat eine solche Maschine gebaut. Eine riesige Apparatur, 200.000 Euro teuer, hochkomplex, unter anderem ausgestattet mit Präzisionsmetallteilen, die auch in Atomkraftwerken verbaut sind. Wenn alles gut läuft, wird Smeller, so heißt das Gerät, nächstes Jahr im Radialsystem V am Berliner Spreeufer zu erleben sein, einem ehemaligen Pumpwerk, vor Jahren umfunktioniert zu einem beliebten Veranstaltungsort. Die Konstruktionsskizze, das ist ein Querschnitt des Gebäudes. Und diese Blase, gehört die auch zu Smeller? „Ja, die ist aus Hightech-Kunststoff. Smeller bläst sich gewissermaßen seinen eigenen Raum auf.“ Smeller, sagt Georgsdorf, das sei die größtmögliche Kontrolle der Luft in einem Raum.
Nun könnte man einräumen, auch das sei wohl eher Science-Fiction. Und auch der Erfinder gibt zu, dass es lange nur eine Idee war, eine Vision, von der nicht klar war, ob sie sich tatsächlich umsetzen ließe. Vielleicht wäre es möglich, so der Ansatz, Luftmoleküle zwar nicht zu manipulieren, wie in der Scherz-Version von Google, sondern sie im Raum kontrollierbar zu machen. Könnte man dann nicht Gerüche steuerbar machen wie Bilder und Töne?
2012 war es dann tatsächlich so weit. Nach monatelanger Tüftelei in einem interdisziplinären Team aus Ingenieuren, Designern und Wissenschaftlern stand das Gerät schließlich im Zentrum für Gegenwartskunst in Linz – und funktionierte. Ein 64-teiliges „Hauchmaul“ konnte, elektronisch gesteuert, genau dosierte Duftmengen in den Raum einbringen, die mit zuvor definierter Strömungsgeschwindigkeit an den Nasen des Publikums vorbeizogen. „Wie Waggons aus Duftmolekülen.“
Als Geruchsquellen wurden echte Stoffe wie Heu, Fisch, Kaffee, Gummischrot, Haare verwendet, mit Konzentraten von Harzen, Ölen und Destillaten kombiniert und in sogenannten Quellkammern entweder kalt verdampft oder mittels Zerstäuber und Heißverdampfungsvorrichtungen in die Maschine eingebracht und über elektronisch ansteuerbare Magnetventile durch ein hochkomplexes Rohrsystem nach außen geleitet. „Die Patentschrift enthält 20 Seiten Text nur für die Beschreibung des Systems der komplexen Luftwege im Smeller“, erklärt Georgsdorf.
Drei Monate lang konnte man das Gerät im Rahmen einer Kunstausstellung erleben. Das Publikum war beeindruckt. „Es war uns tatsächlich gelungen, Geruchssequenzen semantisch erlebbar zu machen“, erzählt Georgsdorf. „Ein Atemzug, und Sie riechen Wald, beim nächsten Atemzug riechen Sie eine Straße im Regen, dann einen See im Spätsommer. Und all diese Erlebnisse verbinden Sie zu etwas vollkommen Neuem.“
Georgsdorf sieht sich als Pionier in einem Feld, das in den nächsten Jahren immer stärker an Bedeutung gewinnen wird. „Smeller, das ist echte Avantgarde-Technologie“, sagt er. Eine Apparatur, die mit der Vision von duftenden Displays a la Google Nose zwar noch ähnlich viel gemein hat, wie die fabrikhallengroßen ersten Computer mit einem iPhone 6. Aber genau darum scheint es ihm zu gehen. „Smeller ist ein komplexes Gerät, aber der Aufwand ist relativ, wenn man ihn mit der Anstrengung vergleicht, die etwa notwendig war, um das zu konstruieren, was wir heute Kino nennen – mit all den Ingenieursleistungen, den komplizierten Maschinen, dem hochexplosiven Zelluloid.“ Es sei doch eigentlich erstaunlich, so Georgsdorf, dass wir das Medium Geruch nicht längst auf ähnliche Art und Weise kultiviert haben wie die Medien Bild und Ton.
Das hat ja vielleicht auch gute Gründe. Die Geschichte audiovisueller Medien, insbesondere des Kinos, so schreibt die Filmhistorikerin Anne Paech, ist voll von Versuchen, Filme olfaktorisch erlebbar zu machen. Seit den 40er Jahren bastelt man an Apparaten zur Beduftung des Publikums. Durchgesetzt hat sich bis heute keiner. Viele Systeme, so Paech, hätten zu einem „olfaktorischen Chaos“ geführt, da sich ein über die Lüftung eingebrachter Duft immer mit den Rückständen des vorherigen vermischte. Doch genau dieses Problem, sagt Georgsdorf, habe er gelöst: „Wenn wir mischen, dann erst kurz vor der Nase – indem wir einzelne Duftströme kontrolliert im Raum zusammenfließen lassen.“
Viele Firmen setzen auf Geruchsmarketing und wollen so ihre Marke aufwerten
Duftströme kontrolliert im Raum ausbringen – ist das nicht auch etwas, wofür sich die Werbebranche sehr interessieren müsste? Liest man nicht schon seit Jahren von angeblich vielversprechenden Versuchen im Bereich Duftmarketing? „Eigentlich alle großen Marken denken darüber nach, ganz gezielt Düfte einzusetzen“, sagt Robert Müller-Grünow, Geschäftsführer von Scentcommunication. Die Kölner Agentur hat sich auf Geruchsmarketing spezialisiert, entwickelt Düfte für Unternehmen, die ihre Marke durch einen „Corporate Smell“ aufwerten möchten. „Ob das Automobilhersteller sind, Telekommunikationsunternehmen, Modemarken, Banken. Es gibt fast keine Branche, mit der wir nicht arbeiten.“
Allerdings, gibt Müller-Grünow zu bedenken: Gutes Duftmarketing ist technisch anspruchsvoll. „Viele Firmen denken, es reiche aus, einen Duftzerstäuber in die Ecke zu stellen oder ein bisschen im Raum herumzusprühen.“ Das könne aber auch nach hinten los gehen. „Düfte sind sehr schwer zu dosieren und werden schnell als störend empfunden.“ Im letzten Jahr kam die US-Modekette Abercrombie & Fitch in die Kritik, als sich Bürger über ein hochdosiertes Parfüm beschwerten, das man zu Marketingzwecken über die Lüftungsanlage einbrachte, sich aber nicht nur im Laden, sondern die ganze Straße entlang verteilte.
Man könne Düfte aber längst sehr genau dosieren und auch präzise im Raum ausbringen, so Müller-Grünow. „Unser Anspruch war schon immer, die Komplexität eines Chanel No. 5 abzubilden und dann eine Sekunde später einen Coca-Cola Duft.“ Potenzial für Innovation gäbe es dennoch reichlich, gibt er zu bedenken. Die Branche ist überschaubar, auch er kennt – natürlich – die Maschine von Wolfgang Georgsdorf. „Was das kreative Spiel mit Düften in einem definierten Raum angeht, ist Smeller visionär, keine Frage. Die Möglichkeiten der Geruchskombinationen sind wirklich spektakulär.“ Wenngleich man natürlich über das ökonomische Potenzial eines solchen Apparats nur mutmaßen könne. „Der Markt für Geräte in dieser Größenordnung ist im Augenblick sicher noch relativ überschaubar.“
Wobei die Frage der ökonomischen Verwertbarkeit den Smeller-Erfinder Georgsdorf im Augenblick eigentlich nur marginal interessiert – ganz in der Tradition vieler technischer Erfindungen, wie er betont. Smeller, das ist für ihn ein Freiraum für Experimente, ein Diskursraum zur kulturellen Einbettung einer Technologie, ein Möglichkeitsraum für Innovation. „Ich kann mir auch Anwendungen in den Bereichen Forschung, Medizin oder Bildung vorstellen.“ Und eben der Kunst. „Sie können Welten erlebbar machen, Zeitreisen in die Zukunft, ins Ungeahnte, oder zurück in die Vergangenheit erleben: Die Luft einer Raumkapsel, Elektronik, Laser, Ozon, Hygiene, Körper. Der erste Schultag mit dem Duft von Bleistift, Radiergummi, Linoleum, Tinte, Papiers, Schuhe und den Kleidern. Oder fremde Momente, ganz ohne Referenz.“ Osmodrama nennt Georgsdorf die neue Kunst mit solchen Sequenzen.
Hat er denn keine Angst, dass die Industrie ihm zuvor kommt? Dass aus dem Aprilscherz Google Nose demnächst doch Ernst wird und wir sehr bald kleine Riechapparate mit uns tragen werden, die Maschinen wie Smeller obsolet werden lassen? Eher nicht. „Das sind bloße Gimmicks und werden es auch noch lange bleiben.“ Smeller, sagt Georgsdorf noch einmal, sei kein Gimmick. Nächsten Sommer, in Berlin, könnte er eine weitere Gelegenheit haben, es zu beweisen.