Ironman als Lifestyle

11.10.2012

Extreme Ausdauersportarten wie Triathlon sind längst im Mainstream angekommen. Trotzdem sind sie eigentlich eine Überforderung für Körper und Geist.

Es kann sein, dass im letzten Drittel des Marathons plötzlich der Puls abfällt. Auf 100 Schläge pro Minute. Nur noch so schnell, wie bei einem Sonntagsspaziergänger, der flotten Schritts durch das Herbstlaub im Park stiefelt. Das ist dann nicht ungefährlich. Aber auch nachvollziehbar. Nach 10 Stunden Höchstleistung hat das Herz einfach die Schnauze voll. Zuerst fast vier Kilometer Schwimmen im kalten Wasser bei 140 Herzfrequenz, dann 6 Stunden lang 150 mal Pumpen pro Minute, um den Körper über 180 Kilometer Radstrecke zu schaffen. Und dann am Ende 42 km Asphalt, nochmal mit 160 bpm. Das ist einfach zu viel!

Nach rund 12 Stunden war Mareike Dreher, eine 34-jährige Designerin aus Berlin, im Ziel. Vor sieben Jahren war das, bei ihrem ersten Ironman-Triathlon in Roth, dem Quelle Challenge, einer der größten Events für den Ausdauer-Dreikampf in Europa. Glücklich war sie, natürlich, weil sie es geschafft hatte. Aber auch merkwürdig ausgebrannt und melancholisch, weil die große Aufgabe, die Überwindung dieser Monsterdistanz aus 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42km Laufen, für die sie fast ein Jahr täglich trainiert hatte, nun erledigt war. „Das habe ich auch bei anderen gesehen. Dieser vollkommen ausgezehrte, leere Blick, mit denen viele ins Ziel gekrochen kamen. Irgendwie auch erschreckend.“

Dreher ist Hobby-Triathletin. Sie hat einen Bürojob, einen großen Freundeskreis, unternimmt viel und sieht die Ironman-Wettbewerbe, an denen sie höchstens einmal im Jahr teilnimmt, eher als interessante Erfahrung, denn als Kampf um Ranglisten und Zeiten. Mit den Profis und engagierten Sportlern, die am 08. Oktober zum wichtigsten und härtesten Wettkampf der Saison, dem Ironman an der Westküste der größten Hawaii-Insel „Big Island“ antraten, hat sie weniger gemein, als man denken könnte. Um sich für das Traditionsrennen auf der Pazifikinsel zu qualifizieren, müsste sie noch einiges an Training zulegen. Und ihr bisheriges Leben als Hobbysportlerin aufgeben.

„Vor ein paar Jahren habe ich mal jemanden kennengelernt, der sich für Hawaii qualifizieren konnte“, berichtet Rupert Thiel, ein 39-jähriger Arzt und Trainingspartner von Dreher, der schon vier Ironman-Wettkämpfe auf dem Buckel hat. „Der hat für seine Zeit von neuneinhalb Stunden quasi jedes Wochenende durchtrainiert.“ Meist nur am Samstag und Sonntag haben Triathleten die Möglichkeit, ihre stundenlangen Radtouren abzuspulen. Unter der Woche sind fast jeden Tag Trainingseinheiten angesagt. „Dann besteht dein Leben wirklich nur noch aus Job und Training. Für Freunde und Beziehung bleibt dann keine Zeit mehr.“

Mit seinen extremen Bedingungen ist und bliebt der Hawaii-Ironman eine Domäne sportfanatischer Individualisten. Die Schwimmstrecke wird in der kräftezehrenden Meeresbrandung absolviert. Auf dem Grund sind Kampftaucher postiert, um die Athleten vor Haien zu schützen. Die Radstrecke ist berüchtigt für die orkanartigen Windböen, die den Triathleten entgegenblasen. Und der abschließende Marathon durch eine Mondlandschaft aus schwarzem Lavagestein gilt als brutaler Hitzeschock.

Doch Thiel und Dreher sind keine verrückten Profis. Ein Jahr lang, „nur“ acht Stunden in der Woche haben sie trainiert, um die Strapazen eines Ironman zu bewältigen. Und auch wenn es falsch wäre, sie Durchschnittssportler zu nennen – Dreher war lange Jahre Leistungsschwimmer und Thiel lief bereits mit 11 Jahren seinen ersten Marathon – sind sie doch das Bindeglied zu einer immer größer werdenden Zahl von Hobbysportlern, die der Faszination des Ausdauerdreikampfes erliegen. „Seit 2002 erleben wir eine Explosion der Teilnehmerzahlen“, wundert sich Herbert Walchshöfer, Veranstalter des „Quelle Challenge“ in Roth. „Das ist mittlerweile eine Stimmung wie bei einem gigantischen Volksfest.“ Vor allem die Kurzvarianten, wie die „olympische Distanz“ (1,5/40/10) oder der noch weiter entschärfte „Volkstriathlon“ (0,5/20/5) wird für immer mehr Freizeitsportler interessant. Und an den Steigungen auf der Radstrecke stehen sich inzwischen ähnlich große Zuschauermassen die Füße platt wie bei einer Bergetappe der Tour de France.

Die ehemals exotische Monsterdisziplin ist Teil eines allgegenwärtigen Fitness-Booms geworden. Das Stählen des eigenen Körpers im Gym, das Willenstraining in Yoga-Sessions oder die Überwindung des „innere Schweinehundes“ beim Ausdauertraining, sind längst mehr als nur schweißtreibende Hobbys, sondern Teile eines Lebensentwurfes, der Erfolg und Anerkennung verspricht. Der Marathonlauf beispielsweise, lange Zeit mit dem Mythos der übermenschlichen Leistung behaftet, mutiert immer mehr zu einer Massenveranstaltung, bei der Horden von braungebrannten Rentnern lächelnd über die Strecke traben.

Und doch kommt beim Triathlon noch etwas anderes hinzu. Es die Aura des genialen Individualisten, des knallharten aber tiefsinnigen Einzelgängers, die den Sport seit jeher umgibt und jeden zumindest ein bisschen in ihren Bann zieht, der mit dem Ausdauerdreikampf in Berührung kommt. Triathleten gelten als der Inbegriff des alten „Mens sana in Corpora sano“ Ideals, beruflich erfolgreich, gebildet und mit einem Körper ausgestattet, gegen den alle Möchtegern Fitten mit ihren aufgepumpten Studiobodies alt aussehen. „Tatsächlich ist es so, dass die Langdistanz-Triathleten allesamt über eine hervorragende Schulbildung und ein Einkommen über dem Durchschnitt verfügen“, bestätigt auch Walchshöfer. Viele reisen für die Wettkämpfe bis nach Japan oder Kanada. Und selbst Hobbysportler gehen mit „Equipment vom Feinsten“ an den Start. Das Schwimmen absolvieren die Triathleten in der Regel mit einem speziellen Neopren-Anzug, Kostenpunkt ab 300 Euro aufwärts. Und auch für die Radausrüstung geben viele einige tausend Euro aus. Die Startgebühren von jeweils bis zu 300 Euro pro Wettkampf noch nicht mitgerechnet.

Auch in ihrer Selbstinszenierung als „Eisenmenschen“ geben sich viele Ausdauer-Dreikämpfer einen gewollt exzentrischen Anstrich. Viele rasieren sich die Beine wie Radprofis, manchmal sogar den ganzen Körper, im Stile der Hochleistungsschwimmer. Einige zelebrieren einen Hang zu Tattoos und Piercings. Der deutsche Hawaii Sieger Norman Stadler ließ sich seine Lieblings-Körperzeichnung auf den Rahmen seines Rads spritzen. Der deutsche Ironman-Sieger Faris Al-Sultan liebt es, seinen austrainierten Körper mit temporären Tattoos zu schmücken. Sieht man die Profis auf ihren Zeitfahr-Maschinen, wirken sie wie Cyborgs, fast vollständig mit ihren Carbonrahmen verschmolzen: Den Sattel extrem weit nach vorne geneigt, ein Großteil des Körpergewichts auf den obligatorischen Hornlenker lastend, direkt vor sich eine überdimensionierte Trinkflasche, aus der mittels Strohhalm Flüssigkeit aufgenommen wird. Manche haben ein Flüssigkeitsreservoir sogar direkt in den Rahmen ihres Bikes integriert.

Die faszinierend technoide Ästhetik der Triathleten ist die eine Sache. Wenn es im Wettkampf hart auf hart kommt, nützt aber mitunter auch das beste Equipment nichts. „Spätestens ab Kilometer 20 beim Marathon sieht keiner mehr gut aus“, weiß Mareike Dreher. Dann geht es nur noch um die Überwindung der Schmerzen, um das Durchkommen oder „finishen“, wie der erfolgreiche Abschluss im Triathlon auch genannt wird. Oft sieht man dann auch, wie der Wille zum Ankommen ins Fanatische abkippt. „Ich habe schon Leute gesehen, die nach dem ersten Marathon-Kilometer plötzlich angefangen haben, zu hinken. Und die ziehen das dann bis zum Schluss durch. Nur um zu finishen.“

Die Überwindung von Strapazen durch eisernen Willen: Eigentlich ist das ja eine Heldengeschichte. Auch Rupert Thiel hat die Bewunderung von Freunden und Bekannten genossen, als sie zum ersten Mal von seiner Ironman-Leistung erfuhren. Als Mareike Dreher sich nach dem Studium für Jobs bewarb, hat sie sich natürlich auch über die respektvollen Blicke gefreut, immer dann, wenn sie auf die Frage nach ihrem Hobby auf ihre Triathlon-Erfahrung zu sprechen kam. Doch in Wahrheit sind die Eisenmenschen viel schwächer, als man denkt. „Ich glaube, viele Triathleten betreiben ihren Sport aus einem Mangel an Selbstwertgefühl heraus“, räumt Rupert Thiel ein. Als er mit seiner ersten Ironman-Vorbereitung begann, steckte er in einer tiefen emotionale Krise. „Ein Großteil des Trainings war dazu da, den Schmerz zu betäuben.“ Und für Mareike Dreher war die letzte Ironman-Vorbereitung ein probates Mittel, um über eine berufliche Durststrecke hinwegzukommen.

Das Zelebrieren des eigenen Körpers als Maschine, der Materialfetischismus, der Endorphin-Kick im Wettkampf, all das birgt ein gewaltiges Suchtpotential, und manchmal treibt die Triathlonbegeisterung seltsame Blüten. Der deutsche Spitzen-Triathlet Andreas Niedrig nutzte den Ironman-Kick, um von seiner Heroinsucht wegzukommen. Auch der Folk-Sänger und Ex-Triathlet Joey Kelly (Kelly-Family) befand sich jahrelang in einem Ausnahmezustand. Im wundervoll skurrilen, 2001 erschienen Bildband „No Limits“ dokumentiert er seine Erfahrungen mit dem Extremsport: Angestachelt von einem Minitriathlon absolviert Kelly in nur wenigen Jahren ein unglaubliches Pensum an Ironmen, Wüsten, Eis und Höhenläufen und gigantischen Radrennen über mehrere Tage. Kaum ein Foto, auf dem der Popstar nicht mit laktataufgeschwämmtem Gesicht halbtot in einem Verpflegungszelt zu sehen wäre, Infusionsschläuche mit Elektrolyten und Schmerzmitteln in den Venen. In unfreiwillig grotesker Komik entlarvt Kelly das von ihm selbst propagierte, bedingungslose „Finishen“ als sinnlose Farce.

Für Hobbytriathleten wie Mareike Dreher ist an dieser Stelle längst eine Grenze überschritten. „Ich würde niemals riskieren, meinen Körper zu schädigen, nur um über die Ziellinie zu humpeln.“ Ihrer Meinung nach sollte ein Ironman ohnehin eher ein Erlebnis als eine Quälerei sein. Obwohl sie die unvermeidlichen Schmerzen beim Marathon dann doch in Kauf nimmt. Und ein Fünkchen Faszination immer auch bleibt, für die Extremerfahrungen der Eisenmänner und Frauen, die ihre Astral-Leiber durch die Gluthölle in Hawaii bugsieren. Etwa dieses unbeschreibliche Gefühl euphorischer Melancholie, von dem mehrmalige Hawaii-Dritte Lothar Leder in einem Trainingsratgeber berichtet: Eine Art sanfte Traurigkeit, die ihn, statt ihn zu lähmen, nur noch schneller fahren lässt.

„Ja Hawaii, das wär‘ schon ’ne coole Erfahrung“, sagt Robert Thiel. Seine Augen leuchten.