Ramallah-Disco

30.05.2006

Hans Nieswandt legt überall auf

Vor Jahren hatte der Theaterregisseur Stefan Pucher eine düstere Vision. Was passiert eigentlich, fragte sich der cluberfahrene, mit Pop und Performance experimentierende Pucher 1998 an der Berliner Volksbühne, wenn DJs alt werden? In seinem Stück „Flashback“ zeigte er sie als apathische, weißhaarige Gestalten, verkrampft hinter ihren Konsolen stehend beim Versuch, Handgriffe, Rhythmen, Worte zu erinnern, die sich nach Jahren des Sampelns verflüchtigt hatten.

Irgendwann, so schien das triste Treiben auf der Bühne zu drohen, hat das ewige Feiern und popkulturelle Zitieren ein Ende. Das Stück floppte. Was wahrscheinlich weniger an den Prophezeiungen fürs plattenauflegende Gewerbe lag, der niemand im jungen Publikum ins Auge blicken wollte, sondern an der verkopften Interpretation des Regisseurs.

Acht Jahre später, am selben Ort gibt es dann den endgültige Beweis: Alte DJs können weise, welterfahren, witzig und verdammt entspannt sein. Was sie zu erzählen haben über ihre Reisen rund um die Welt, ist spannend und unterhaltsam: Im Grünen Salon der Volksbühne ist Hans Nieswandt zu Gast, 42 Jahre, Familienvater, ärmelloses Holzfällerhemd, Wanderschuhe und einer der dienstältesten deutschen House-DJs, um aus seinem neuen Buch „Disko Ramallah“ (KiWi, Köln. 256 S., 8,95 EUR) zu lesen. Mitgebracht hat er Eric D. Clarke, seinen Partner bei Whirlpool Productions, der die Darbietung am Flügel begleitet, um das Erzählte mit Dramatik aufzuladen wie ein Stummfilmpianist die Episoden auf der Leinwand.

„Es war die Zentrale in München: Wir hätten da einen Spezialauftrag für einen erfahrenen Senioren. Und wir haben dabei an Sie gedacht.“ Nieswandt grinst, das Publikum grinst zurück. Vor zwei Jahren wurde er vom Goethe-Institut zu einer Reise in den Nahen Osten gebucht als deutscher Kulturgesandter. Eine 80 Kilo schwere DJ-Konsole und jede Menge Platten im Gepäck tingelte er wochenlang durch die Westbank nach Bethlehem, Jerusalem, Ramallah und schließlich Kairo, nicht nur, um aufzulegen, sondern vor allem, um arabischen Jugendlichen das „DJen“ zu demonstrieren und elektronische Musik made in Germany vorzuführen. Dabei passieren eine Menge bizarrer Dinge. An einem israelischen Checkpoint bei Amman wird der DJ von Jungsoldaten mit der kritischen Frage nach einem Künstlernamen in die Mangel genommen. Beinahe wird ihm sein puristischer Verzicht auf einen solchen zum Verhängnis. „Ich verfluchte mich lautlos. Vor 15 Jahren hätte ich mir einen amtlichen DJ-Namen wie Westwandt oder Acid Hans zulegen sollen.“ Die Grenzer bleiben mißtrauisch.

„Glokalisation“ nennen Soziologen die Verschränkung von global wirksamen Stereotypen und deren gleichzeitige Anpassung an lokale Gegebenheiten. Nieswandt bewegt sich elegant entlang dieser Schnittstelle und ist ein hervorragender Beobachter seines eigenes Erstaunens und vorsichtigen Lernens. Sein erstes Set in Bethlehem beendet er mit „Peace!“, in der ironisch-popreferentiellen Variante des modernen, westlichen Clubgängers. „Einen Moment später schämte ich mich bereits dafür. Denn aus dem Saal schallte es aus allen Kehlen, aufrecht, überhaupt nicht ironisch und kein bißchen popreferentiell zurück: Peace. Das Wort hatte hier eine tiefere Bedeutung als in Ehrenfeld oder Eimsbüttel.“ Man folgt ihm gern, sehr gern sogar, bei seinen Erlebnissen und Erkenntnissen.

Man stiefelt nächtens in den Mai hinaus und blättert, liest und wundert sich. In Beirut trifft Hans Nieswandt den HipHop-DJ Lethal Skillz, der ihn fragt, wie lange er schon auflegt. „Seit über 20 Jahren.“ – „Respekt! Sei mein Gast, Mann der alten Schule!“. Respekt, Männer der alten Schule.

Erschienen in Die Welt am 30. Mai 2006.