Shirley Manson und ihre Band Garbage kehren zurück, um über Bulimie und Depression zu berichten
Es gibt viele Gründe, sich über das neue Album von Garbage zu freuen. Die Sängerin Shirley Manson kann nach einer Stimmband OP wieder singen, Produzent und Schlagzeuger Butch Vig hat eine schwere Hepatitis überstanden. Die Streitereien, die zwischenzeitlich zur Auflösung der amerikanischen Band geführt hatten, sind vergessen. Während der Aufnahmen zur neuen Platte überlebten alle wie durch ein Wunder einen absurden Unfall, als ein LKW das Tonstudio rammte.
Und eigentlich kann man sich auch darüber freuen, dass all das, wofür die Band zehn Jahre lang gekämpft hat, inzwischen Wirklichkeit geworden ist. Als 1995 das erste Album „Garbage“ erschien, wollte Butch Vig die Rockmusik über den Tod des Grunge hinaus retten. Das gelang. Auch Shirley Manson, die Frontfrau, trat mit einer Mission an der Thematisierung weiblicher Zwänge angesichts eines immer evidenter werdenden Schönheitswahns und die Rebellion dagegen. In exzessiven Bühnenshows, öffentlichen Bekenntnisse zu Selbstverletzungen und Fressattacken, zelebrierte sie die Dekonstruktion ihrer eigenen Schönheit im Dienste der größtmöglichen Provokation. Reihenweise bekennen sich Stars heute zum Zwang, sich „schlank zu kotzen“. Ein „desease to please“, wie Jane Fonda in ihrer gerade erschienenen Autobiografie schreibt. Zeitschriftendossiers geben Soforthilfe, Lifestyle Magazine betreiben Prävention. „Essen wir überhaupt noch richtig?“ fragte das seriöse Jugendmagazin Neon kürzlich. Und in Berlin gibt es schon ein Restaurant speziell für essgestörte Frauen.
Das Problem ist nur: Für das neue Garbage-Album selbst spielt das alles keine Rolle. Und vermutlich ist das auch der Grund dafür, warum es so merkwürdig überflüssig wirkt. Man hat den Eindruck, hier wird ein Kampf wieder aufgenommen, dessen Fronten sich längst verschoben haben. Wie in alten RiotGirrrl Zeiten singt Shirley Manson von blutigen Abgründen, die sich hinter hübschen Gesichtern, vor allem ihrem eigenen, auftun. Dreckige Männer und harte Liebe braucht sie, erfährt man in „Bad Boyfriend“. „Bleed Like Me“, der Titelsong, beschwört die erdende Macht körperlichen Schmerzes angesichts einer gefühllosen, oberflächlichen Welt.
Doch Manson huldigt der Ikone des beschädigten Mädchens, ohne zu merken, dass diese ihr subversives Potential längst verloren hat. Robbie Williams hat Depressionen, Mariah Carey hat Depressionen, Metallica begeben sich in Behandlung. Erfolgreiche Sportler bekennen sich zur Freßsucht. In Filmen wie Gus van Sants „Elephant“ oder Serien wie „Friends“ wird Bulimie als Alltagsritual dargestellt, dem sich Teenager auf der Schultoilette hingeben, wie zu anderen Zeiten dem heimlichen Rauchen. Die Psychoprobleme von Frauen und Stars sind überrepräsentiert. Auch dem Sound haftet nichts Rebellisches mehr an. Manche behaupten, Butch Vig hätte nach seiner Pause wieder zum Grundkonzept der Band zurückgefunden. Dem intelligenten Stilmix aus Rock und Elektronik. Es gibt nur wenige Tracks, die diesem Anspruch gerecht werden. Der Rest ist gitarrenlastiger Rock, der Befreiungsschlag einer genialen alternden Band. Revolutionäres gibt es anderswo.
Erschienen in Die Welt am 25. Mai 2005.