Studie Generation What? – „Vertrauensverlust heißt nicht Resignation“

1.06.2017

Eine aktuelle Studie belegt: Junge Europäer haben wenig Vertrauen in Politik und Medien. Doch das bedeutet nicht weniger Engagement, sagt Projektleiter Maximilian von Schwartz vom Meinungsforschungsinstitut Sinus.

Herr von Schwartz, „Generation What?“ ist die bislang größte europaweite Studie zur Generation der 18-34-Jährigen. Sie hat rund eine Million junge Menschen aus 35 Ländern erreicht und unter anderem nach ihrem Verhältnis zu Politik und Medien gefragt. Für eine wissenschaftliche Studie ist das eine beeindruckende Zahl, oder?

Absolut! Allerdings muss man dazu sagen, dass Generation What? keine rein wissenschaftliche Studie war. Die Zielsetzung und die Methodik war eine andere, denn es ging uns auch darum, eine möglichst große Anzahl junger Menschen mit einer ungewöhnlich großen Auswahl von Fragen zu erreichen. Im Grunde könnte man sagen: Generation What? ist nicht nur eine Studie, sondern auch ein multimediales Projekt.

Was bedeutet das für die Interpretation der Ergebnisse?

Jedenfalls nicht, dass man sie deshalb weniger ernst nehmen müsste. Die Ergebnisse sind vielleicht in einzelnen Bereichen weniger trennscharf als in anderen Studien. Wir sind aber davon überzeugt, dass sie bestimmte Grundstimmungen durchaus repräsentativ abbildet.

Was also lässt sich zum Vertrauen der 18-34-jährigen Europäer in politische Institutionen feststellen?

Das Vertrauen ist erschreckend gering. Wir sehen, dass 82 Prozent der jungen Europäer kein Vertrauen haben. Von dieser Gruppe wiederum gaben 45 Prozent sogar an, „überhaupt kein“ Vertrauen in politische Institutionen zu haben.

Warum ist das so?

Die Studie hat festgetellt, dass junge Erwachsene teilweise sehr unzufrieden mit dem politischen System sind. 87 Prozent sind der Meinung, die soziale Ungleichheit nähme zu. Weitere 90 Prozent sagen, Geld spielt in unserer Gesellschaft eine zu große Rolle. Außerdem ist eine Mehrheit der Meinung, die Politik würde wichtige Probleme nicht in den Griff bekommen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die Klimaproblematik oder Korruption. Interessanterweise ist die Rangliste der Länder, die sich bei unserer Frage nach dem Vertrauen in die Politik ergeben hat, fast deckungsgleich mit dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International. Wir sehen etwa, dass in der Schweiz, in Deutschland und den Niederlanden, also Ländern mit dem niedrigsten Korruptionswahrnehmungsindex, das Vertrauen in politische Institutionen am höchsten ist. Umgekehrt ist in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit junger Menschen das Vertrauen in die Politik am geringsten.

Kein Verlust an Engagement

Wie ist es dann zu erklären, dass in Deutschland trotz günstiger Rahmenbedingungen immerhin 23 Prozent angeben, sie hätten kein Vertrauen in die Politik?

Ein Grund könnte die soziale Spaltung sein, die in Deutschland dennoch herrscht und bedingt ist durch eine sehr geringe soziale Mobilität. Junge Deutsche aus unteren Schichten sehen vergleichsweise wenig Aufstiegschancen, blicken ganz allgemein viel weniger optimistisch in die Zukunft, als Angehörige höherer Bildungsschichten. Hinzu kommt, dass in den Augen vieler junger Menschen politische Vorgänge inszeniert wirken und fernab der eigenen Lebensrealität stattfinden. Die daraus resultierende Distanz zum eigenen Alltag macht es natürlich schwer, Vertrauen zu fassen.

Sie haben auch nach dem politischen Engagement gefragt und dabei etwas Interessantes festgestellt.

Richtig. Man könnte leicht den Schluss ziehen, dass ein Vertrauensverlust in die Politik automatisch zu einem geringen Engagement führt. Das lässt sich so aber nicht bestätigen. Trotz des großen Misstrauens gaben immerhin 15 Prozent an, sich schon einmal in einer politischen Organisation engagiert zu haben. Weitere 30 Prozent könnten sich das zumindest vorstellen. Offenbar scheint eine generelle Frustration nicht zu Resignation zu führen.

Was lässt sich über das Verhältnis junger Europäer zu den Medien sagen?

Auf die Frage, ob sie den Medien voll und ganz vertrauen, antworten tatsächlich nur zwei Prozent mit ja, 39 Prozent haben überhaupt kein Vertrauen. Allerdings muss man zugeben, dass an dieser Stelle der Begriff Medien nicht weiter differenziert wurde. Es ist davon auszugehen, dass den öffentlich-rechtlichen Angeboten größeres Vertrauen ausgesprochen wäre, hätten wir spezifisch danach gefragt. In Deutschland sind die Werte, ähnlich wie bei politischen Institutionen, nicht ganz so niedrig. Hier sagen „nur“ 22 Prozent, sie hätten überhaupt kein Vertrauen in die Medien.

Geringe Anfälligkeit für Populismus

Reichen diese Zahlen schon aus, um von einer Vertrauenskrise zu sprechen?

Ich denke, man sollte sie ernst nehmen, aber auch nicht dramatisieren. Eine naheliegende Erklärung für die vergleichsweise hohe Skepsis junger Menschen gegenüber Medieninhalten könnte schlicht die Tatsache sein, dass sie eine viel größere Vielfalt an Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen nutzen, deren Zuverlässigkeit grundsätzlich erst einmal in Frage steht. So gesehen scheint eine gewisse Grundskepsis geradezu angebracht. Wir sehen nicht nur an dieser Stelle, dass die junge Generation generell sehr vorsichtig ist, wenn es darum geht, Vertrauen zu schenken.

Welchen Effekt hat der beschriebene Vertrauensmangel Ihrer Meinung nach auf die Mechanismen der Demokratie?

Einerseits gibt es sicherlich die Gefahr der Instrumentalisierung des Vertrauensmangels für populistische Zwecke. Gleichzeitig sehen wir bei jungen Menschen eine geringe Anfälligkeit für populistische Forderungen. Beispielsweise wurden die Studienteilnehmer gefragt, ob in Krisenzeiten deutsche Staatsbürger auf dem deutschen Arbeitsmarkt bevorzugt werden sollten? Über 75 Prozent verneinen das. Darüber hinaus sprechen sich über 90 Prozent generell für Solidarität aus. Der Vertrauensmangel in die Politik scheint offenbar nicht automatisch zu nationalistische Tendenzen zu führen.

Maximilian von Schwartz, Studienleiter am SINUS-Institut, betreute als hauptverantwortlicher Sozialforscher die europaweite Generation-What?-Studie (2017). Vor seiner Tätigkeit am SINUS-Institut in Berlin studierte er Wirtschaftswissenschaften und Verhaltensökonomie in Heidelberg, den USA und in den Niederlanden.

Erschienen auf www.goethe.de im Juni 2017.

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Juni 2017