„Digitalisierung darf nicht zum Selbstzweck werden“ – Themenheft „Smart Cities“ (Wirtschaftswoche)

12.07.2019

Die Digitalisierung, so zumindest die Hoffnung, kann Städten dabei helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Dabei sind solche Smart-City-Konzepte nicht unumstritten, Kritiker warnen vor einem Ausverkauf der Städte an Tech-Konzerne. Letztlich müsse es darum gehen, technische Lösungen in den Dienst einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu stellen, sagt Dr. Peter Jakubowski, Leiter des Forschungsschwerpunktes Digitale Stadt des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Wie dies gelingen könnte, erläutert er im Gespräch.

Herr Jakubowski, was verstehen Sie unter Smart Cities?

Das sind Städte, die ihre Infrastrukturen mit digitaler Technologie aus- und aufgerüstet haben, zum Beispiel, um bisher getrennte Systeme miteinander zu verknüpfen. Dazu gehört auch die Modernisierung kommunaler Entscheidungs-, Planungs- und Managementprozesse unter Einbezug von Bürgern, privatwirtschaftlichem Kapital und intensiver Nutzung von Daten. Smarte Städte verfolgen die Ziele integrierter Stadtentwicklung auch mit Hilfe digitaler Technologien.

Würde man Menschen auf der Straße fragen, fielen ihnen vermutlich zuerst Flugtaxis oder die gerade frisch genehmigten E-Roller ein.

Und damit haben sie auch recht, das ist aber nur ein kleiner Teil dessen, was uns mit dem Begriff „Smart Cities“ vorschwebt. Ich kann deshalb verstehen, dass solche Entwicklungen durchaus auch eine gewisse Skepsis auslösen. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Vorstellung von „schlauen Städten“ ursprünglich im Rahmen einer Marketing-Strategie entstanden ist.

Was meinen Sie?

Vor allem US-amerikanische IT-Firmen haben den Begriff vor etwa 20 Jahren in Umlauf gebracht, um die Vision einer Art Steuerungssystem für Städte zu etablieren, in dem sämtliche Information wie in einem digitalen Dashboard zusammenlaufen. Anfangs sprach man von einem Smart-City-Cockpit. In Europa und vor allem in Deutschland kam das aber nicht so gut an.

Weil man Angst hatte vor einem digitalen Ausverkauf der Städte?

Eher weil diese Technik-Vision einer zentralen Steuerung so gar nicht zu dem passte, was unsere Städte eigentlich brauchten. Als wir 2010 langsam begannen, uns intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen, kamen viele Akteure aus der Stadtentwicklung, darunter auch kommunale Spitzenverbände, auf uns zu und sagten, da passiere gerade etwas Merkwürdiges. Wir werden massiv von IT-Unternehmen angesprochen, die uns Produkte anbieten, für die wir gar keine Verwendung haben. Offensichtlich gab es hier ein Problem, Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen.

Wie haben Sie reagiert?

Wir haben versucht, zwischen Städten und Unternehmen zu vermitteln und im Rahmen von Werkstätten auszuloten, wie man vielleicht doch noch zusammenfinden könnte. Es zeigte sich, dass die Firmen zunächst nicht in der Lage waren, ihre Produkte an die konkreten Bedürfnisse der Städte anzupassen. Offensichtlich konnte der Marketing-Begriff Smart City nicht das halten, was er versprach.

Ist das immer noch so?

Nein, ich denke schon, dass wir hier einen großen Schritt weitergekommen sind. Man muss sich nur die Mühe machen, den Begriff genauer auf die Realität der Städte abzustimmen. Genau hierfür wurde in der nationalen „Dialogplattform Smart Cities“ mit vielen Stakeholdern und Ressorts des Bundes und der Länder 2017 die Smart City Charta erarbeitet und veröffentlicht. Darin ist klar definiert: Die Digitalisierung darf nicht zum Selbstzweck werden, sondern ist dem Leitbild einer nachhaltig integrierten Stadtentwicklung verpflichtet. Das heißt, egal welche Tools oder Apps eingesetzt werden, sie müssen am Ende immer dazu führen, die Stadt auf dem Weg einer nachhaltigen Entwicklung voranzubringen. Was wir definitiv nicht wollen, ist ein Umbau der Stadt nach der Vorstellung kalifornischer Tech-Konzerne und schon gar nicht nach dem Modell einer zentralen Steuerung, wie wir es beispielsweise in China erleben.

Aber haben die Städte denn auch genug Handlungsspielraum, um die Ziele der Charta umzusetzen? Viele Kommunen stehen doch, vor allem aus ökonomischen Gründen, inzwischen unter einem enormen Druck, mit IT-Herstellern zu kooperieren. Smart City ist ja auch ein Label, mit dem man Kapital generieren kann. Außerdem verlangen immer mehr Menschen nach digitalen Lösungen im Bereich Mobilität und Bürgerbeteiligung.

Sie haben recht, es herrscht ein großer Handlungsdruck und auch Ungeduld. Überall wird gerade die Erwartung geweckt, in ein paar Jahren könne sich eine Stadt zur Smart City transformieren. Dabei lassen sich die komplexen Strukturen in Städten gar nicht so schnell digitalisieren. Eine weitere Herausforderung sind die teilweise deutlichen Unterschiede in der Finanzkraft der Städte. Da haben es reiche, gut aufgestellte Kommunen leichter, die Schritte in Richtung Digitale Transformation so umsichtig und gründlich zu vollziehen, dass sich am Ende auch wirkliche Vorteile für die Bürger ergeben.

Wie könnte man dieses Problem angehen?

Wir sind da schon auf einem ganz guten Weg. Der Bund hat für die Förderung von Modellprojekten Smart Cities unter dem Motto „Smart Cities made in Germany“ dieses Jahr 170 Millionen Euro bereitgestellt – die ersten Modellprojekte wurden vor kurzem ausgewählt. Insgesamt plant das Bundesinnenministerium 750 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um Städte dabei zu unterstützen, die Ziele der Charta im anspruchsvollen Alltag umzusetzen. Die Mittel sollen dabei nicht zuletzt kleinen und mittelgroßen Städten zugutekommen.

Gibt es denn in Deutschland schon eine echte Smart City?

Im Sinne einer wirklich umfassenden Vernetzung sehe ich momentan noch keinen Vorreiter. Aber wir beobachten eine ganze Reihe überaus ambitionierter Teilprojekte, etwa in Darmstadt, das 2017 den Smart-City-Wettbewerb „Digitale Stadt“ des Digitalverbandes Bitkom gewann und schon in vielen Handlungsfeldern wie Bildung, Sicherheit und Energie große Fortschritte erzielt. Weitere Beispiele sind die Städte Arnsberg und Bad Hersfeld, Letztere mit einer Datenplattform, die es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, Daten zu ihrer Stadt einzuspeisen.

Sie meinen Tools, die es ermöglichen, beispielsweise mittels einer Smartphone-App die Stadtverwaltung auf Missstände aufmerksam zu machen?

Ja, wobei man hier auch ein wenig vorsichtig sein muss. Natürlich können solche Apps sehr nützlich sein. Wir wissen, dass es hilft, Informationen über städtebauliche Missstände zu generieren. Aber entscheidend ist dann die Frage, wie man zu Lösungen kommt. Was nützt es einer Kommune, über eine digitale App noch mehr Informationen darüber zu bekommen, was gerade nicht funktioniert, wenn es ganz grundsätzlich an Ressourcen und Personal mangelt, um die Probleme überhaupt angehen zu können? Mit anderen Worten: Wer Smart-City-Projekte wirklich effektiv fördern will, muss immer auch die Probleme von Städten und Gemeinden allgemein im Blick behalten.

Der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling warnte neulich in einem Gastbeitrag für das US-Magazin Atlantic vor dem Ausverkauf unserer Städte an Tech-Konzerne. Wie ernst sollten wir solche Szenarien nehmen?

Natürlich ist das eine Gefahr, aber die noch größere Herausforderung für uns hier in Deutschland sehe ich darin, wichtige Entwicklungen nicht zu verschlafen. Auf der einen Seite sind wir, sicherlich auch zu Recht, inzwischen sehr vorsichtig mit der Liberalisierung und Privatisierung im öffentlichen Raum. Auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, den Standort Deutschland auch in Zukunft ausreichend attraktiv zu halten, um etwa die Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt, die noch auf uns zukommen werden, entsprechend abzufedern. Auch das wird die Stadt der Zukunft prägen. Was die konkrete Realisierung von Smart-City-Lösungen angeht, muss man allerdings sehen, dass der deutsche, vielleicht etwas bedächtige Weg durchaus auch zum Erfolg führen kann.

Inwiefern?

Eine im Smart-City-Kontext viel zitierte Lösung sind sogenannte smarte Straßenlaternen. Diese können mit allerlei Sensoren ausgestattet werden, die etwa Lärm oder Schadstoffe messen und sogar als Ladestationen für E-Autos nutzbar sind. Solche Systeme werden inzwischen von vielen internationalen Konzernen angeboten, die natürlich auch Städte in Deutschland für eine Kooperation gewinnen wollten. Und was ist passiert? Die Stadt München hat beispielsweise mit Start-up-Unternehmen eine eigene Lösung entwickelt – kostengünstig, tragfähig, auf die Situation in Deutschland angepasst und inzwischen in immer mehr Kommunen Interesse weckend.

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