Wie die Physik beweist und die Erfahrung bestätigt, endet alles, was einmal geordnet war, früher oder später im Chaos. Galaxien, Sonnensysteme, aufgeräumte Schreibtische, Kinderzimmer… So müsste doch eigentlich, sollte man denken, das Vernichten von Information viel leichter von der Hand gehen, als deren Auffinden. Trotzdem war und ist das gewollte Löschen ein absoluter Profijob.
Vom Mongolenherrscher Dschingis Khan wird berichtet, seine letzte Ruhestädte sei nur deshalb bis heute unentdeckt geblieben, weil Tausende von Pferden über sein Grab getrieben wurden. Und wer wüsste, wie schwer es ist, die privaten Überbleibsel auf einer gemeinen Computerfestplatte im Nirwana verschwinden zu lassen, würde wahrscheinlich zu ähnlichen Methoden greifen.
Derartige Gedanken dürfte sich gerade ein Chemnitzer Computernutzer machen. Über die Internetseite zoll-auktion.de hatten Redakteure der Zeitschrift Computerbild bei einem Probekauf einen PC aus den Beständen des Zollamtes Erfurt erstanden, auf dessen Festplatte sich hochbrisantes Material fand: Kinderpornos und Nazi-Musik. Offenbar wurde der Rechner nach einer Wohnungsdurchsuchung in Chemnitz sichergestellt und dann für die Internetversteigerung freigeben. Die Festplatte war gelöscht und formatiert worden.
Doch Löschen und Formatieren reichen mitnichten aus, um gespeicherte Daten wirklich aus zu radieren. Und so denkt man zunächst: Gut, dass es den Mann erwischt hat! Aber sofort im Anschluss: Wie war das noch gleich mit dem alten Laptop, das man neulich verkauft hat? Mit dieser Festplatte, die so lange treu jede schwülstigen Mail, und jeden verkorksten Text des Besitzers archivierte? Die hat man doch auch nur „gelöscht und formatiert“. Nichts davon ist also wirklich verschwunden, kann bei Bedarf mit einem simplen Datenrettungsprogramm zurückgeholt werden.
Wer seine Festplatte wirklich verlässlich in eine Tabula rasa verwandeln will, muss offenbar richtig Arbeit investieren. Auf dem Blog des Branchendienstes golem.de, der den Festplattenfund kommentiert, übertreffen sich Computerfreaks mit spektakulären Löschtipps. Einmal überschreiben müsste doch reichen, wundert sich ein Leser: „Was soll da wiederhergestellt werden? Wo nur noch Nullen sind, kann auch keine Information mehr gewonnen werden.“ Klingt logisch, ist aber falsch.
Hilfe von offzieller Seite
Profifirmen würden über eine einmalig mit Nullen beschriebene Platte nur lachen, antwortet ein anderer. Die „liefern dir nach 30 Minuten den vollständigen Inhalt des alten Datenbestandes auf einer CD.“ Mit Zufallsdaten soll man arbeiten, meinen manche, die alten Daten mehrmals überschreiben, einschlägige Spezialbefehle ausführen, sich teure Profisoftware zulegen oder zu kostenlosen Geheimtipps mit bizarren Internetadressen (heidi.ie) surfen. Doch auch von offizieller Seite wird Hilfe angeboten: Das Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat eine eigene Schreddersoftware entwickelt, mit der man seine Datenplatte angeblich voyeursicher ausfegen lassen kann.
Nun ärgert man sich fast täglich über Dokumente, die sich in Luft aufgelöst haben, Bilder die nicht mehr in ihrem Ordner liegen oder versandte Mails, die man laut Outlook angeblich nie verschickt hat. Ständig scheint die Gefahr zu bestehen, dass uns die wichtigsten Dateien unerreichbar im Datenchaos verschwinden. Ganz abgesehen von der latenten Virengefahr, die den meisten Nutzern im Nacken sitzt. Was tun, wenn ein grinsendes Icon in der Bildschirmmitte erscheint und hämisch den totalen Datenverlust ankündigt? Google entwickelt eine Desktop Suche, die verspricht, jeden noch so kleinen Datenfitzel auf dem Privatrechner aufzuspüren.
Doch verlässlich ist in den Weiten des Datenmülls wirklich nichts. Nicht einmal das, dass vernichtete Daten nicht gerade dann wieder auftauchen, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Als monströse Spuren auf sichergestellten Festplatten.
Erschienen in Süddeutsche Zeitung am 31. August 2005.